Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
Vom Netzwerk:
Problem Hermanns des Deutschen zu sagen hatte, war romantisch, Berthold verstand es nicht ganz, aber es machte ihm Eindruck. »Weißt du, mein Junge«, sagte Onkel Joachim und schenkte ihm vorsichtig mit der langen Hand einen scharfen Schnaps ein, »daß die Chose am Ende übel ausging, beweist gar nichts. ›Der eine fragt, was kommt danach, / Der andre, was ist recht, / Und dadurch unterscheidet sich / Der Freie von dem Knecht.‹ Hermann hat recht gehabt. Nur durch den Aufstand, auch auf die Gefahr der späteren Niederlage hin, erfuhren die Germanen, was sie sind, kristallisierten sie sich, erlebten sie sich. Ohne diesen Aufstand wären sie nie in die Geschichte eingetreten, sie wären geschichtslos in den andern aufgegangen. Nur durch Hermann bekamen sie Namen, sind sie da. Was aber zählt, ist einzig der Name, der Ruhm. Wie der wirkliche Cäsar war, ist uninteressant: was lebt, ist der Mythos Cäsar.«
    Wenn Berthold das recht verstand, kam es also doch nicht allein auf das wirkliche Gesicht Hermanns an, sondern auch das Gesicht der Statue im Teutoburger Wald spielte eine Rolle. Es genügte also nicht, daß er jetzt das Gesicht Hermanns hatte. Das war verwirrend. Er war noch weit ab vom Ziel.
    Ein gelegentliches Gespräch mit seiner Kusine Ruth Oppermann trug nicht dazu bei, die Dinge zu vereinfachen. Ruth Oppermann behandelte ihn von oben her, als einen kleinen Jungen, aufgewachsen in falschen Vorstellungen. Aber er war jung, es mußte glücken, ihn aus den Vorurteilen zu lösen, ihm die Wahrheit klarzumachen, die doch so einfach war. Sie bemühte sich nach Kräften, ihn zu retten. Sooft Berthold das unschöne Mädchen mit den heftigen Manieren sah, ärgerte er sich über sie. Trotzdem suchte er immer von neuem Gelegenheit, sich mit ihr herumzustreiten. Gewiß, ihre Logik war schwach; aber ihre Ziele paßten zu ihr, sie war eine Persönlichkeit, sie war richtig.
    Für Ruth Oppermann war Hermanns Aktion die einzig mögliche. Er tat das, was ein paar Jahrhunderte vorher die Makkabäer getan hatten, er lehnte sich auf gegen die Unterdrücker, schmiß sie aus dem Land. Was sonst soll man mit Unterdrückern anfangen?
    Wie sie so dastand, die großen Augen aus dem olivbraunen Gesicht herausfunkelnd, die Haare wie immer ein wenig unordentlich, mußte Berthold an germanische Frauen denken, die mit ihren Männern in den Kampf zogen, um die Wagenburg zu verteidigen. Sie waren blond, diese deutschen Frauen, selbstverständlich, ihre Haut war hell, ihre Augen blau; aber auch ihre Haare waren vermutlich etwas unordentlich, ihre Augen groß und wild, der ganze Ausdruck wahrscheinlich der gleiche.
    Seine Kusine Ruth hatte recht, Onkel Joachim hatte recht, er selber, Berthold, bewunderte Hermann. Das Verwirrende war nur, daß leider auch Onkel Jacques Lavendel recht hatte, daß wirklich bei der ganzen Siegerei Hermanns am Ende nichts herausgekommen war.Übrigens betrug sich der Feind, der Oberlehrer Vogelsang, in diesen Wochen vor Bertholds Vortrag tadellos. Bernd Vogelsang wollte nichts überhasten. Das Königin-Luise-Gymnasium war gefährliches Terrain, es galt, behutsam vorzugehen, mit nordischer List. Vogelsang witterte Gegner in allen Schülern, sondierte. Aus der ganzen Unterprima fand er vorläufig nur zwei würdig, in die Reihen seiner Jungen Adler einzutreten, Max Weber und Werner Rittersteg.
    Werner Rittersteg, blaß und kränklich von Haut, mit einer piepsigen Stimme, war der Längste in der Unterprima. Der Lange Lulatsch wurde er von seinen Kameraden genannt. Dr. Vogelsang hatte ihm von Beginn an imponiert. Er hatte seine vorquellenden Augen mit so hündischer Ergebenheit auf den neuen Lehrer geheftet, daß er dem sogleich aufgefallen war. Bernd Vogelsang schätzte blinde Unterwerfung unter die Autorität, ihm war sie Mannentreue. Er würdigte den Schüler Rittersteg der Aufnahme unter die Jungen Adler.
    Einziger Sohn wohlhabender Eltern, die aus ihrem Jungen etwas Großes machen wollten, hatte sich Werner Rittersteg bis jetzt trotz seiner Länge unter den andern niemals hervorgetan. Mittelmäßig begabt, langsam von Urteil, war er unter Oberlehrer Heinzius nicht hochgekommen. Die Aufnahme unter die Jungen Adler war der erste große Erfolg seines Lebens. Seine schmale Brust blähte sich. Ihn hatte Dr. Vogelsang erwählt, die andern, mit einer einzigen Ausnahme, verworfen.
    Keine Frage, daß das Geheimnis, das um die Jungen Adler wob, um ihre Blutsbrüderschaft, ihre merkwürdigen, heimlichen Riten, ihre Feme, die

Weitere Kostenlose Bücher