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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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andern Pennäler sehr anzog, so daß sie Weber und Rittersteg beneideten. Selbst der nüchterne Heinrich Lavendel, als er von der Aufnahme der beiden hörte, hatte gesagt: »Lucky dogs.«
    Der Lange Lulatsch hätte sehr gewünscht, daß Heinrich Lavendel sich nicht mit diesem Ausruf begnügt hätte. Gerade auf diesen Kameraden hätte er gern Eindruck gemacht. Er beneidete und bewunderte ihn um die Kraft und Behendigkeit,mit der er seinen kurzen, stämmigen Körper schwingen, wenden, schnellen konnte. Er warb auf eine gewisse täppische Art unausgesetzt um Heinrichs Zuneigung. Hatte sogar ihm zu Ehren Englisch gelernt. Aber auch als er ihn eines Tages mit den Worten begrüßte: »How are you, old fellow?«, war Heinrich kühl geblieben. Es wurmte Rittersteg, daß selbst sein großer Erfolg an dieser Kühle nichts änderte.
    Abgesehen von der Ernennung der beiden Jungen Adler ereignete sich in der Unterprima nichts Sensationelles. Die Pennäler fanden sich mit ihrem ersten nationalistischen Chef rasch ab. Er war nicht besonders beliebt, auch nicht besonders unbeliebt, er war ein Lehrer wie alle andern, man regte sich nicht weiter über ihn auf. Rasch wieder wurden die phänomenalen Leistungen Heinrich Lavendels beim Fußballspiel interessanter als die gelegentlichen nationalistischen Äußerungen Dr. Vogelsangs.
    Auch Rektor François beruhigte sich. Mild, ruhevoll saß er in dem großen Rektoratszimmer zwischen den Büsten Voltaires und Friedrichs des Großen. Es waren jetzt nahzu drei Wochen, und kein Zwischenfall hatte sich ereignet. Nur eines bekümmerte ihn: Herrn Vogelsangs schreckliches Deutsch, dieses stramme, papierene, leitartikelnde, nationalistische Neudeutsch. Nachts, wenn er schlafen ging, auf dem Bette sitzend, die Hosenträger sorglich herunterstreifend, jammerte er seiner Frau vor: »Er verdirbt mir alles, was ich den Jungens gegeben habe. Denken und sprechen ist identisch. Sieben Jahre hindurch haben wir uns bemüht, den Jungens gerades, klares Deutsch beizubringen. Da läßt mir das Ministerium diesen Teutonen auf sie los. Man kann den Schädel eines Neugeborenen formen, wie man will, zum Langschädel oder zum Breitschädel. Sitzt das Deutsch der Jungens schon fest genug, daß es sich gegen das krampfige, geschnürte Undeutsch halten kann? Es wäre ein Jammer, wenn die Jungens ins Leben hinaus müßten, und es fehlten ihnen mit klaren Worten klare Begriffe.« Seine freundlichen Augen schauten bekümmert durch die scharfen Gläser der randlosenBrille. »Darauf kommt es jetzt nicht an, Alfred«, erklärte resolut Frau François. »Sei froh, daß du bis jetzt mit ihm gut ausgekommen bist. Man kann heutzutage nicht vorsichtig genug sein.«
    Frau Pedell Mellenthin war enttäuscht. Nach den Äußerungen ihres Mannes hatte sie erwartet, der Neue werde sich sogleich durch eine große Tat auszeichnen. Doch Pedell Mellenthin ließ sich so schnell von seiner guten Meinung nicht abbringen. »Tannenberg wurde auch nicht an einem Tage geschlagen«, sagte er. »Aus dem wird noch was«, erklärte er mit Nachdruck. Frau Mellenthin beruhigte sich und gab die Meinung ihres Mannes weiter; denn der hatte die Witterung und roch jeden Wind zwei Tage voraus.
    Um elf Uhr zwanzig hatte Herr Markus Wolfsohn, Verkäufer des Möbelhauses Oppermann, Filiale Potsdamer Straße, begonnen, sich mit Frau Elsbeth Gericke zu beschäftigen, die ihrem Mann zu Weihnachten einen Stuhl kaufen wollte. Sie wußte nicht recht, ob einen Stuhl oder einen Sessel; fest stand für sie nur, daß es ein Möbelstück sein müsse, speziell für ihren Mann bestimmt. Herr Wolfsohn hatte ihr Stühle und Sessel aller Art vorgeführt. Allein Frau Gericke war eine Dame von mangelnder Entschlußkraft. Auch war ein solcher Einkauf für sie ein Fest, das sie möglichst lange auskosten wollte; es gefiel ihr, daß man sich so intensiv um sie bemühte. Und Herr Wolfsohn bemühte sich intensiv um sie. Herr Wolfsohn war ein guter Verkäufer, der Dienst am Kunden war ihm Lebensaufgabe.
    Um elf Uhr sechsundvierzig war es soweit. Sie hatte angebissen, Herr Wolfsohn erkannte das mit dem geübten Blick des langjährigen Händlerpsychologen. Frau Gericke, soviel Zeit und Beredsamkeit er für sie aufgewandt hatte, war ein Glücksfall für ihn. Denn das, worauf sie angebissen hatte, war der Barocksessel Modell 483. Vor fünf Jahren hatte man in den Oppermannschen Werkstätten diesen Barocksessel Modell 483 in einer größeren Serie hergestellt. Es war darüber,beiläufig

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