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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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Stimme seiner Frau: »Bist du schon da, Markus?« Er hat sich oft lustig gemacht über diese dumme Frage. »Nein«, erwidert er voll gutmütigen Hohnes, »ich bin nicht da.« Sie wirtschaftet weiter in der Küche herum. Er legt den Kragen ab, vertauscht den braunen Geschäftsanzug mit einem alten, fadenscheinigen Hausanzug, die Schuhe mit abgetragenen, bequemen Pantoffeln. Schlurft hinüber ins andre Zimmer, beschaut sich lächelnd seine schlafenden Kinder, das fünfjährige Elschen und den dreijährigen Bob, schlurft zurück. Setzt sich in den schwarzen Ohrenstuhl, im Möbelhaus Oppermann zu einem Vorzugspreis erstanden, eine wirkliche Okkasion, zu deutsch Mezije. Mit Behagen schnuppert er den Geruch des gepökelten Koteletts, des sogenannten Kasseler Rippenspeers. DasRadio braucht er nicht erst anzustellen, er nassauert mit am Radio des Herrn Zarnke. Es ist heute angenehm laute Musik, er schaut in der Zeitung nach: aha, Lohengrin.
    Frau Mirjam Wolfsohn, er nennt sie Marie, geschäftig, rotblond, ziemlich dick, bringt das Essen. Auch eine Flasche Bier ist da, kalt, beschlagen, verlockend. Herr Wolfsohn nimmt die Zeitung vor, ißt, trinkt, liest, hört die Radiomusik, seine Frau spricht dazu. Er genießt mit allen Sinnen den abendlichen Frieden.
    Übrigens ist, was Frau Mirjam Wolfsohn ihm vielwortig zu erzählen hat, nicht gerade angenehm, und sie rechnet damit, daß er meckern wird. Sie spricht nämlich von der Notwendigkeit, für die fünfjährige Else einen neuen Wintermantel zu kaufen. Es ist wirklich eine Schande, in was für einem verwachsenen Mantel Elschen herumläuft. Frau Hoppegart hat bereits anzügliche Bemerkungen gemacht. Hinten und vorn ist das Kind aus dem Mantel herausgewachsen. »Ihre Göre sieht aus wie eine geplatzte Wurst«, hat Frau Hoppegart treffend bemerkt. Es wird Zeit, daß endlich Bob Elschens Mantel erbt. Begonnen hat Frau Wolfsohn mit ihrer Erzählung, noch bevor Telramund Anklage gegen Elsa von Brabant erhob. Als Lohengrin Telramund zum Kampf herausfordert, ist sie beim vermutlichen Preis für Elschens Mantel. Acht bis zehn Mark, schätzt sie. Natürlich meckert Herr Wolfsohn. Aber Frau Wolfsohn sieht sogleich, daß das nicht tragisch ist. Schon bei Schluß des ersten Lohengrin-Aktes ist man übereingekommen, das Mäntelchen zu Weihnachten zu erstehen.
    Frau Wolfsohn räumte das Essen ab. Markus Wolfsohn setzte sich wieder in den schwarzen Ohrenstuhl, las seine Zeitung zu Ende, ließ sie sinken, und während Lohengrin und Elsa bräutlich einzogen und der Geruch des Kasseler Rippenspeers und des Sauerkrauts noch angenehm über dem Raum schwebte, betrachtete er nachdenklich einen gewissen feuchten graubräunlichen Fleck oben an der Wand. Sehr bald schon, nachdem Wolfsohns die Wohnung bezogen hatten, war dieser Fleck an der Wand erschienen. Winzig klein zuerst.Jetzt aber war er gewachsen. Er befand sich über einem eindrucksvollen Bild, »Spiel der Wellen« genannt, das darstellte, wie schwimmende Götter und Göttinnen Haschen spielten. Das Bild stammte aus der Kunstabteilung des Möbelhauses Oppermann, man hatte es Herrn Wolfsohn trotz des schönen Rahmens besonders billig überlassen. Vor einem Monat noch hatte die Distanz zwischen dem Bild und dem Fleck mindestens zwei Handbreiten betragen, jetzt betrug sie höchstens noch eine Handbreit. Herr Wolfsohn hätte viel darum gegeben, nachzuprüfen, ob und wieweit sich der Fleck auch auf der andern Seite der Wand zeigte, bei Herrn Zarnke. Das war nun leider unmöglich; mit diesen Leuten kann man ja nicht reden, sie werfen einen ja aus der fahrenden Untergrundbahn. Als Herr Wolfsohn mit Hausverwalter Krause über den Fleck sprach, hatte der erwidert, im Frühjahr würden alle nötigen Reparaturen vorgenommen; im übrigen bedeuteten solche Feuchtigkeitsflecken gar nichts, sie gehörten zu jeder anständigen Wohnung wie zur Jungfer das Kind. Möglich; aber jedenfalls sah der Fleck unvorteilhaft aus. Herr Wolfsohn wird nächster Tage noch einmal mit Hausverwalter Krause reden müssen.
    Seine Meditationen wurden durch die Ankunft seines Schwagers Moritz unterbrochen. Frau Wolfsohn brachte eine zweite Flasche Bier, und die beiden Herren sprachen über Welt und Wirtschaft. Moritz Ehrenreich, der Setzer, klein, vierschrötig, hartes, lebendiges Gesicht, sehr zerfurcht, braune, heftige Augen, wirres Haar, stapfte breitbeinig im Zimmer auf und ab, streitbar wie immer, voll der finstersten Vorahnungen. Er ist nicht geneigt, den Überfall auf den Juden

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