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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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Frauensperson die Geschichte in die Hand nehmen.«
    »Es tut mir leid, Herr Professor«, sagte sie, »aber ich kann Sie noch nicht fortlassen. Bitte, lesen Sie das«, und sie wies auf ein paar Zeitungsausschnitte.
    »Sie werden immer strenger mit mir, Schwester Helene«, versuchte Edgar zu lächeln. Er nahm gehorsam die Ausschnitte zur Hand, las sie. Es waren die gewohnten Angriffe, nur war der Ton noch robuster, pöbelhafter. In jedem zweiten Fall, hieß es, führe das Oppermannsche Verfahren den Tod des Operierten herbei. Edgar Oppermann verwende fast ausschließlich Patienten der dritten Klasse für seine mörderischen Versuche. Es seien Ritualmorde größten Stiles, die der jüdische Arzt in aller Öffentlichkeit begehe, um sich dafür von der jüdischen Presse beweihräuchern zu lassen. Die Augen des Lesenden trübten sich im Zorn. »Das schreiben sie doch seit Monaten«, sagte er heftig. »Können Sie mich damit nicht verschonen?«
    »Nein«, erwiderte Schwester Helene kurz. Ihre Stimme klang nach der lauten, unmutigen Edgars doppelt leise, doch darum nicht weniger resolut. »Sie dürfen die Augen nicht länger zudrücken, Herr Professor«, sagte sie mit der Strenge, mit der sie einem Patienten eine unangenehme Medizin aufnötigte. »Sie müssen dagegen etwas tun.«
    »Aber es weiß doch jeder«, sagte ungeduldig Edgar, »daß wir nur 14,3 Prozent Fälle mit letalem Ausgang haben. Selbst Varhuus gibt zu, daß in mehr als fünfzig Prozent aller Fälle, die man sonst aufgeben müßte, das Oppermannsche Verfahren zum Ziel führt.« Er suchte seine Heftigkeit zu mäßigen, lächelte. »Ich bin ein hilfsbereiter Mensch, Schwester Helene. Aber wenn der Teufel in diese Säue gefahren ist, muß gerade ich ihn austreiben? Sie dürfen nicht zuviel von mir verlangen.«
    Aber sie ging auf diesen 'Ton nicht ein. Sie hatte sich gesetzt, sie dachte nicht daran, die Unterredung so bald zu beenden. Kräftig, füllig saß sie da. Die Aufsätze dieser Zeitungen, setzte sie ihm auseinander, würden ja nicht von Medizinern gelesen, sondern von einer fanatisierten Menge. Diese fanatisierte Menge habe Einfluß auf die Geschicke der Städtischen Klinik. Er könne das nicht länger anstehen lassen. Er müsse klagen, forderte sie leise, doch entschieden, sogleich müsse er klagen. Oder ob er warten wolle, bis Geheimrat Lorenz ihm das nahelege?
    Edgar Oppermann sah die Logik Schwester Helenens ein, aber ihn ekelte vor der Sache. Die Leute, erklärte er heftig, die solche Aufsätze schrieben, und die, die sie glaubten, gehörten in ein Irrenhaus, nicht vor Gericht. Er kann sich mit ihnen nicht auseinandersetzen. So wenig wie mit den Medizinmännern eines Urwaldstammes, die behaupten, Lungenschwindsucht könne nur geheilt werden, wenn man dem Patienten Antilopenkot aufs Auge lege. »Wenn das Ministerium oder der alte Lorenz es für nötig hält, solche Leute zu widerlegen, dann kann ich sie nicht hindern. Aber ich tu es nicht. Ich bin kein Latrinenreiniger.«
    Schwester Helene drang für diesmal nicht durch. Aber sie dachte nicht daran, zu resignieren. Sie wird heute abend weiter diskutieren, morgen vormittag, morgen abend. Ahnte denn dieser große Wissenschaftler, dieses Kind, ihr Professor Oppermann nicht, was um ihn vorging?
    In den Krankenhäusern, auf der Universität, überall wittertendie unbegabten Mediziner Morgenluft. Eine Epoche brach an, in der nicht mehr Leistung und Begabung entschied, sondern die vorgebliche Zugehörigkeit zu einer Rasse. Schwester Helene besaß naturwissenschaftliche Bildung genug, um zu wissen, daß hinter der Rassentheorie ebensoviel Sinn und Unsinn stak wie hinter dem Glauben an Hexentum und Teufel. Aber für alle, denen die Begabung anderer im Weg stand, war es verlockend, den Mangel eigener Leistung durch den Hinweis auf nichtjüdische Abstammung zu ersetzen. Zwar wagte man sich bisher an ihren Professor nicht heran. Er gehörte zu den zehn oder zwölf deutschen Ärzten von Weltruf; seine Studenten, seine Kranken hingen an ihm. Aber sah er nicht, wie schon sein Schützling zum Beispiel, Dr. Jacoby, von dem allgemeinen Übelwollen angefressen war? Der kleine, häßliche Mensch wurde immer scheuer, linkischer, wagte sich kaum mehr zu seinen Patienten. Und dieser unbegreifliche Professor wollte das nicht merken, wollte nicht wahrhaben, daß es mit der Kandidatur des kleinen Jacoby jetzt endgültig Essig war, tröstete ihn vielmehr und erklärte ihm in unfaßbarem Optimismus, es könne nur mehr Tage

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