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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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bricht ein Versprechen. Es war säuisch. Aber er kann sich doch den Posten nicht streichen lassen. Er war oft in der Lage gewesen, Angehörigen, nahen Freunden mitteilen zu müssen, eine Operation sei mißglückt, der Patient verschieden. Der alte Lorenz war ein rechtschaffener Mensch: diese Situation war zehnmal ungemütlicher.
    »Halten Sie es nicht für richtiger, Herr Geheimrat«, fragte plötzlich Edgar und hatte noch immer sein fatales, gefrorenes Lächeln um die Lippen, »ich schmeiße hier die Sache hin, bevor sie mich hinausschmeißen?«
    Das Gesicht des alten Lorenz lief bläulich an. »Sie sind wohl närrisch geworden, Oppermann«, brach er los. »Machen Sie doch die Augen auf. Woran dieses Volk leidet, Mann, das ist eine akute Erkrankung, keine chronische. Ich verbitte es mir, daß Sie sie für eine chronische erklären. Hören Sie, Mann. Arschlöcher«, schrie er plötzlich und haute mit seiner großen, roten Hand auf den Tisch, daß die Papiere flogen. »Alle sind sie Arschlöcher, die Politiker. Und ich tu ihnen den Gefallen nicht. Wenn sie glauben, ich tu ihnen den Gefallen, dann sind sie geschlenkt.«
    Geschlenkt, dachte Edgar. Was für merkwürdige Worte diese Bayern haben. »Schon gut«, sagte er. »Ich glaube Ihnen schon, Geheimrat Lorenz, daß Sie getan haben, was Sie tun konnten. Sie sind ein guter Kollege.« – »Ich weiß es nicht, Oppermann«, sagte der alte Lorenz. »Das erstemal in meinem Leben weiß ich es nicht. Das ist es ja.«
    Die Fertigstellung der Brücke, die Herrn Wolfsohns Mund schmücken sollte, hatte sich länger hingezogen, als Herr Wolfsohn gedacht hatte, sie war auch teurer geworden. Fünfundachtzig Mark hatte der Dentist Hans Schulze, der Olle Matjes, ihm am Ende abnehmen wollen mit der Begründung, es hätten sich während der Arbeit, die er in Wolfsohns Munde vornahm, neue, unvermutete Schwierigkeiten ergeben, es hätten sich neue kariöse Stellen gezeigt, und bei einem andern als Herrn Wolfsohn würde er es unter hundert Emm unter keinen Umständen machen. Herr Wolfsohn hatte ihn schließlich mit vieler Mühe unter mancherlei ernsten und scherzhaften Reden auf fünfundsiebzig Emm gedrückt. Fünfzig Emm hatte er verabredungsgemäß angezahlt. Die neuen Zähne waren somit noch nicht ganz sein Eigentum; aber er hätte die fehlenden fünfundzwanzig Emmjederzeit auf den Tisch des Hauses legen und die Zähne ganz zu seinem Eigentum machen können. Wenn er es nicht tat, dann nur deshalb, weil viele Leute ihm erklärt hatten, der Eintritt der Völkischen in die Regierung werde eine Inflation zur Folge haben, und weil er somit hoffte, den Restbetrag allenfalls in entwertetem Geld abstottern zu können.
    Die neue Fassade war teuer, aber sie war prächtig. Das Schnurrbärtchen über Herrn Wolfsohns Lippen nahm sich jetzt wirklich flott aus, und über den neuen, tadellosen Zähnen wirkten seine Augen doppelt flink und lebendig. Markus Wolfsohn lächelte im Geschäft noch mehr als sonst.
    Von Fremden unbeobachtet aber, lächelt er selten, trotz seiner neuen weiß und goldnen Pracht. Dabei geht das Geschäft besser, als man für diese stillere Winterzeit erwartet hat. Das Gerede von einer Inflation veranlaßt viele, ihr Geld statt auf der Sparkasse in Hausrat anzulegen. Herr Wolfsohn hat auch in diesem Februar Prämien gemacht, nicht so viele natürlich wie im November, aber wenn er ehrlich sein will, kann er über den Geschäftsgang nicht klagen. Es sind andere Dinge, die ihn verstimmen.
    Einzelheiten zunächst, jede für sich ohne Belang, aber, zusammengenommen, doch geeignet, einem den Appetit zu verderben. Herrn Wolfsohns Selbstachtung zum Beispiel wird nicht vermindert dadurch, daß Herr Lehmann in Lehmanns Caféstuben sich jetzt nicht mehr danach erkundigt, ob alles richtig sei oder nicht. Die »BZ« lag dort ohnehin skandalöserweise von jeher nur in einem einzigen Exemplar aus, und wenn man sie nicht selber kaufte, konnte man anwachsen, bevor man sie bekam. Herrn Wolfsohns Selbstachtung wurde auch nicht geringer dadurch, daß man ihn bei den Ollen Matjes nicht mehr ganz so gern sah wie früher. Immerhin war das schon unangenehmer, und einmal war dort ein Satz gefallen, der Herrn Wolfsohn ernstlich kränkte. Man sah nämlich beim Skat einander genau auf die Finger, daß man bei der Feststellung der Gewinne nicht mogle; denn zwanzig Prozent des Gewinns waren an die Vereinskasse zublechen. Von diesen zwanzig Prozent wurden die Spesen der Ollen Matjes berappt, vor allem die

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