Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
der Barbar, vor die Römer getreten sein, die Gewichte verfälschend durch sein in die Waagschale geworfenes Siegerschwert.
Ja, Oberlehrer Vogelsang durfte sich Triumph aus voller Brust gönnen. Er hat erfahren, daß die Wahlen entschieden waren, bevor sie stattgefunden hatten. Die nationalen Führer – man hat es ihm heimlich mitgeteilt, doch unbedingt zuverlässig – haben eine Tat beschlossen, eine flammende Tat, die die Wahlen unter allen Umständen zu einem Sieg für die nationale Sache machen muß. Oberlehrer Vogelsang braucht weder in der Sache Rittersteg noch in der Sache Oppermann irgendwelche Rücksicht mehr zu nehmen. Darum war er in die Öffentlichkeit vorgestoßen, und so, als Triumphator, trat er nun vor Rektor François hin.
Er hat sich diesen Triumph lang aufgespart, aber jetzt kostet er ihn auch aus. Kein Quentchen schenkt er dem andern. Zwei Monate, erklärte er stählern dem klein dasitzenden François, mehr als zwei Monate habe jetzt die Anstalt die Schande auf sich sitzen lassen. Es sei genug. Wenn nicht derSchüler Oppermann noch in diesem Monat Abbitte tue, dann werde er, Vogelsang, zu bewirken wissen, daß der Schüler von den preußischen Anstalten relegiert wird. Er begreife nicht, wie Rektor François, so oft und ernsthaft ermahnt, so lange habe zögern können. Jetzt sei die Beule aufgebrochen, die ganze Anstalt besudelt.
Stramm zwischen den Büsten Voltaires und Friedrichs des Großen stand der triumphierende Oberlehrer. Noch in diesem Monat, dachte François. Der Februar hat nur achtundzwanzig Tage. Wie er quäkt. Das Gedröhne Donnerwölkchens ist eine Mozartoper dagegen. Brekekekex koax koax. Sein Kragen ist wieder einen halben Zentimeter niedriger geworden. Er paßt sich an. In Rom die Barbaren paßten sich auch an. »Wollen Sie sich nicht setzen, Kollege?« fragte er.
Aber Vogelsang wollte sich nicht setzen. »Ich muß Sie um eine deutliche, unmißverständliche Antwort bitten, Herr Rektor«, forderte er klirrend. »Wollen Sie den Schüler Oppermann darauf aufmerksam machen, daß er entweder noch vor dem 1. März die dreisten Behauptungen jenes Vortrags widerrufen oder seine Relegierung zu gewärtigen hat?«
»Ich bin mir nicht ganz klar«, sagte mit milder Ironie François, »was Sie eigentlich wünschen, Kollege. Sie sprechen bald von Abbitte, bald von Widerruf. Und wie stellen Sie sich die Angelegenheit technisch vor? Soll Oppermann hier auf dem Rektorat um Entschuldigung bitten oder vor versammelter Klasse?«
Bernd Vogelsang trat einen Schritt zurück. »Abbitte? Widerruf?« staunte er. Er stand zürnend da, sein eigenes Denkmal. »Beides selbstverständlich«, heischte er. »Ich glaube, Herr Rektor, wie die Dinge liegen, tun Sie am besten, mir die Bestimmung der Form zu überlassen, in der die Sühnung zu erfolgen hat.« Der Rächer Hermanns des Deutschen, dachte François. Das hat der Cherusker nun doch nicht verdient.
»Gut, Herr Kollege«, sagte er. »Ich werde mit dem Schüler Oppermann reden. Er wird abbitten, und er wird widerrufen. Nur eines muß ich mir vorbehalten: die Stilisierung seinerErklärung. Der Schüler Oppermann mag seine Fehler haben, aber ein schlechter Stilist ist er nicht. Das haben sicher auch Sie beobachtet, Kollege.«
War das Hohn? Bernd Vogelsang dachte an die Frechheiten, die sich François über das Deutsch des Führers erlaubt hatte, damals als er ihn das erstemal wegen der Angelegenheit Oppermann stellte. Stilisierung. Habeat sibi. Da saß er und hatte nichts mehr als sein bißchen Ironie. Dürftig, Herr Rektor. Er, Bernd Vogelsang, wird die Demütigung dieses aufsässigen Schülers zu einem eindrucksvollen Schauspiel zu gestalten wissen. Alle werden sehen, wie er den Geist der Zersetzung aus diesem Hause austreibt. Mag Rektor François sich in seine dürftige Ironie hüllen: er, Bernd Vogelsang, handelt.
Alfred François hatte viel Neues und viel Böses erkennen müssen in diesen letzten Wochen. »Die Faust des Schicksals hatte ihm die Augen geöffnet«, wie der Führer sich auszudrücken pflegte. In diesen letzten Stunden allein war so viel Hartes auf ihn niedergeprasselt, daß er glaubte, nunmehr werde nichts mehr ihn anrühren können. Aber als er jetzt auf den Schüler Oppermann wartete, wußte er, er hatte geirrt, das Schwerste stand ihm noch bevor.
»Setzen Sie sich, Oppermann«, sagte er, als Berthold eintrat. »Haben Sie den Döblin gelesen, den ich Ihnen empfahl?« – »Jawohl, Herr Rektor«, sagte Berthold. »Es ist gute
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