Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
daß jetzt die Bilder Oppermanns verschwinden werden, daß der Name Oppermann verschwinden wird. Allein noch am gleichen Tag fing er an, die Bilder und den Namen verschwinden zu machen.
Bat zu diesem Zweck die Herren Brieger und Hintze ins Büro, legte mit ihnen das Technische fest. Herr Hintze, sehr aufrecht dasitzend, finster, schlug vor, an Stelle Immanuel Oppermanns ein großes Photo Ludwig Oppermanns aufzuhängen,eines der Brüder, der im Jahre 1917 in Frankreich gefallen war. »Davor hat die Bande noch einigermaßen Respekt«, sagte er knarrend. Martin, beide Herren hatten es bemerkt, hatte den Schutzwall seiner Würde aufgegeben, ließ einen näher heran. Aber jetzt, mit einemmal, wurde er der alte. Einen kurzen Blick von der Seite her schickte er zu Herrn Hintze hinüber. »Nein, Hintze«, sagte er kühl, jede Widerrede abschneidend. »Mit der Berufung auf meinen Bruder Ludwig erkaufe ich mir keine Konzession.«
Er selber, am Abend dieses Tages, trotzdem das nicht nötig gewesen wäre, nahm das eingerahmte Schreiben des Feldmarschalls Moltke von der Wand, schlug es in ein Papier, umständlich, verschnürte es sorgsam, nahm es mit sich. Als er das Haus verließ, tat der alte, mürrische Türsteher Leschinsky den Mund auf, dies hatte sich bis jetzt noch nie ereignet, und sagte: »Adjeh, Herr Oppermann.«
Zu Hause schmolz Martin die Befriedigung über den geschäftlichen Erfolg, der so teuer bezahlt war, schnell fort. Bis jetzt hatte es ihn in jedem einzelnen Falle besondere Überwindung gekostet, wenn er seinen Geschwistern unangenehme Mitteilungen hatte machen müssen. Vor der Größe und Härte dessen, was nun über sie hereinbrach, verschwand sein Streben um Haltung und Würde. Nein, einen solchen Schmerz brauchte man nicht zu verstecken. Den durfte man hinausschreien, schamlos, nackt. Für den nächsten Abend bat er seine Geschwister zu sich, und sie kamen.
Er berichtete, was er mit Wels vereinbart hatte. Er erzählte nichts von den Demütigungen, mit denen er seinen Erfolg hatte bezahlen müssen. Aber die andern verstanden nicht einmal etwas von diesem Erfolg, sie begriffen nur, daß es jetzt aus war mit dem Möbelhaus Oppermann. Der einzige Jacques Lavendel verstand ihn. »Massel toff«, sagte er und schaute ihn freundlich und voll herzlicher Anerkennung an. »Das haben Sie großartig gemacht, Martin. Was wollen Sie? Erst schaute es aus wie eine Pleite, und jetzt ist alles in Butter. Oder doch wenigstens in Margarine.«
Allein die andern gingen auf seinen Ton nicht ein. Wohl versuchte Martin noch einen ziemlich bittern Scherz; er sagte zu Gustav, nachdem der das Bild Immanuels besitze, habe jetzt er sich für seine Privatwohnung wenigstens den Moltkebrief gesichert. Aber bald, angesichts der Niedergeschlagenheit aller, spürte Martin auch die letzte Freude über seinen geschäftlichen Erfolg verrinnen.
Da saßen sie herum, allesamt, die Geschwister Oppermann, um einen großen, runden Tisch, noch aus der Zeit Immanuel Oppermanns stammend, einen alten, soliden Tisch aus Nußbaumholz, gefertigt seinerzeit unter persönlicher Aufsicht von Heinrich Wels sen., das Bild des alten Oppermann über ihren Häuptern. Seit jenem Geburtstagsabend in Gustavs Haus an der Max-Reger-Straße waren sie nicht mehr beieinandergesessen. Sie gehörten zusammen, das sah man, auch das Bild gehörte zu ihnen. Aber dieser Zusammenhalt war jetzt wohl ihr wertvollstes Besitztum, das einzig feste noch. Alles andere ringsum schwand, glitt ihnen unter den Füßen fort.
Jacques Lavendel versuchte nochmals, sie durch eine gewisse skeptische Überlegenheit aufzumuntern, aber es nützte nichts, und bald gab auch er es auf.
Minutenlang saßen sie schweigend, die schweren Männer. Gustav war nicht mehr strahlend wie sonst, Martin hatte seine Haltung und Würde aufgegeben, Edgar die ummauerte Zuversicht des erfolgreichen Wissenschaftlers, Jacques Lavendel seine optimistische Skepsis. Die großen Köpfe gesenkt, schauten sie aus ihren tiefliegenden Augen vor sich hin. Sie waren kräftige Männer, tüchtig ein jeder auf seinem Gebiet, wohlgeeignet, einem Feind, einem harten Schicksalsstoß standzuhalten. Aber jetzt saßen sie ohne Zuversicht, in schwerer Betrübnis; denn was ihnen jetzt bevorstand, das, sie spürten es in allen Gliedern, war nicht der Angriff einzelner Feinde und nicht ein einzelner Schicksalsstoß. Es war ein Erdbeben, eine jener großen Meutereien der konzentrierten, meertiefen Dummheit der Welt, und was nützt vor
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