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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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ähnliches, um sich der neuen Regierung zu empfehlen. Joachim Ranzow brachte die Skrupellosigkeit nicht auf. Es fraß an ihm, daß es heute so schwer war, ein preußischer Beamter zu sein und ein anständiger Mensch.
    In solcher Lage fand Berthold seinen Onkel Joachim. Die Affäre des Jungen war peinlich. Je eher sie bereinigt wird, um so besser für sie alle. Gut, daß der Junge selber vernünftig über die Geschichte zu denken scheint. »Ich glaube«, sagte Ranzow, »du solltest die gewünschte Erklärung abgeben.« Er sagte es gemessen wie immer, klar, unumwunden. Der Junge schaute ihn an, ein wenig verblüfft. Er wunderte sich, daß einer in seinem komplizierten Fall so rasch eine Meinung parat hatte. Ranzow merkte diese Verblüffung. Er war wirklich etwas zu schnell gewesen. »Schließlich hast du«, suchte er seine Meinung zu begründen, »zumindest in der Form unrecht gehabt.«
    Berthold dachte an die schönen, etwas dunklen Worte, die Onkel Joachim seinerzeit über Hermann den Deutschen gesagt hatte. Für ihn, Berthold, hatte er nur sehr nüchterne Worte. Er fand, Onkel Joachim wollte nicht sehen, um wieviel es ihm ging. »Man hat alles böswillig verdreht«, sagte er. »Ich soll etwas zurücknehmen, was ich gar nicht behauptet habe. Hermanns Ruhm, der Mythos Hermann, ich erinnere mich genau an alles, was du mir damals erklärt hast, Onkel Joachim. Es war das weitaus Klügste, was mir irgendeiner über Hermann gesagt hat, und ich habe es mir gut gemerkt. Und gerade darauf wollte ich hinaus. Aber um dahin zu gelangen, mußte ich doch erst die Tatsachen bringen, die historischen Tatsachen, so klar wie möglich. Ich habe nichts weiter behauptet, als was jeder aus dem Mommsen und dem Dessau herauslesen muß. Soll ich jetzt hingehen und zugeben, daß ich ein schlechter Deutscher bin, weil ich gesagt habe, was wirklich war?«
    Joachim Ranzow war nervös, ungeduldig. Erst schien der Junge so vernünftig, und nun machte auch er noch Schwierigkeiten. Liselotte hatte weiß Gott genug Sorgen. Alle hatten sie genug Sorgen. Und jetzt noch das. Wegen Hermanns des Cheruskers. »Mein Gott, Junge«, sagte er ungewohnt leichtfertig, »hast du keine andern Sorgen? Was geht dich schließlich Hermann der Cherusker an?«
    Den Satz ausgesprochen, wollte er ihn schon nicht gesagt haben. Berthold nämlich erblaßte noch tiefer, faßte nach dem Schnapsglas, packte es ungeschickt fest, setzte es wieder hin. Packte es von neuem, es war noch ein winziger Rest darin, er trank ihn leer. Ranzow nahm erst jetzt wahr, wie schlecht und mitgenommen der Junge aussah. »Aber dich, Onkel, geht er an«, sagte er, sein Mund wurde schmal und bitter, er sah ihn an, herausfordernd, anklägerisch. Joachim Ranzow machte eine abwehrende Geste mit der langen Hand, als striche er einen Satz durch. Wollte etwas sagen. Ach was, war er schließlich dem Jungen Rechenschaft schuldig?
    Ehe er antworten konnte, sprach auch Berthold schon weiter. »Du meinst«, sagte er, »weil ich jüdisches Blut in mir habe, geht mich Hermann nichts an. Das meinst du doch, nicht?« – »Red doch nicht solchen Quatsch«, sagte, jetzt ernstlich verärgert, Ranzow. »Trink lieber noch einen Schnaps.« – »Danke«, sagte Berthold. »Ich sehe nicht, wie du es anders hättest meinen können«, beharrte er. »Genau das, was ich sagte, meinte ich«, erwiderte scharf Ranzow. »Nicht mehr und nicht weniger. Ich muß mir ernstlich verbitten, Berthold, daß du meinen Worten solchen Quatsch unterlegst.« Berthold zuckte die Achseln. »Du hast natürlich recht, Onkel. Du bist mir keine Rechenschaft schuldig.«
    So bitter und bösartig resigniert klang das, daß Joachim Ranzow, jetzt aus seinem eigenen Bereich aufgestört, mit Eifer daranging, den Jungen, den er mochte, wieder ins Gleis zu bringen. »Deine Mutter würde dich nicht begreifen, Berthold«, sagte er. »Vielleicht war, was ich sagte, nicht besonders glücklich ausgedrückt. Wir haben jetzt alle den Schädel vollSorgen. Aber wie du so etwas hast heraushören können, ist mir wirklich unbegreiflich.« Berthold nickte mehrmals mit dem großen Kopf; es war eine Bewegung, wie sie sein Vater manchmal hatte, er sah kummervoll und erwachsen aus. Der Junge tat Ranzow leid. »Sei vernünftig, Berthold«, sagte er, es war eine Bitte und eine Entschuldigung. »Nimm guten Rat an. Es ist nicht leicht für einen Mann nahe an den Fünfzig, zu sagen, wie er heute als Junge handelte. Als ich in deinem Alter war, waren die Zeiten anders. Damals,

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