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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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wollen es bequem haben, das ist ihr gutes Recht. Sie ist weniger alt und gibt gern ein bißchen Bequemlichkeit auf für ein erregendes Erlebnis. Auch wenn sie von den Worten Gutwetters das Ekstatischeabzog, blieb immer noch ein ungeheuer interessantes Schauspiel: die unvermutete Überschwemmung eines zivilisierten Gebietes durch die Barbaren. Sie wartete auf dieses Schauspiel mit der kalten Spannung eines Kindes, das vor einem Käfig auf die angekündigte Fütterung der Tiere wartet. Sie wollte dieses Schauspiel nicht versäumen. Als sie zu Gustav kam, war sie wenig geneigt, Deutschland jetzt zu verlassen.
    Allein als Gustav ihr erzählte, was er von Mühlheim über den Reichstagsbrand wußte, als er ihr nüchtern berichtete, daß Mühlheim, gestützt auf gute Gründe, ein paar Wochen voll Gewalt, Willkür, Rechtlosigkeit erwarte, begann auch sie die Dinge anders anzusehen. In ihrem bequemen Sessel sitzend, kindlich, dünn, liebenswert, schaute sie ihm auf den Mund. Was war das? Ihr Freund Gustav bekam plötzlich ein Schicksal. Sein Gesicht wurde größer, entschiedener. Er war nicht nur ein liebenswerter älterer Herr, er war, trotz allem, ein Mann. Als Gustav zu Ende war, ging sie hinüber zu ihm, setzte sich auf die Lehne seines Sessels. Sie schwankte, was sie erwidern sollte.
    Sehr bald aber, nachdem Gustav zu sprechen aufgehört hatte, drängte sich wieder ihr Werk vor, diese ihre Arbeit. Keine sehr wichtige Sache, gewiß, aber ihr Lebenswerk. Sie hatte jetzt die Chance, mit Gutwetter zu arbeiten. Sie arbeitete sehr gut mit ihm. Neue Kraft strömte in ihr Wort, in ihr Sehen. Sie durfte diese glückliche Zusammenarbeit nicht abreißen lassen. Das war sie sich selber schuldig.
    Sie möchte schrecklich gern mit ihm reisen, sagte sie zu Gustav. Auch sie habe das Gefühl, daß sie jetzt zu ihm gehöre, das Bedürfnis, mit ihm zusammen zu sein. Aber er werde nicht wollen, daß sie ihre Arbeit im entscheidenden Stadium gefährde. Sie könne jetzt nicht unterbrechen, sie könne jetzt keine Störung brauchen, außerhalb Berlins gerate ihr nichts. Die nächsten acht bis zehn Tage müsse sie für ihre Arbeit haben. Bleibe er wirklich nur zwei Wochen, dann werde sie ihn, hoffe sie, bei seiner Rückkehr mit etwas besonders Geglücktem überraschen. Verzögere sich aber dieseRückkehr, dann werde sie ihm nachreisen und, die Schwierigkeiten ihrer Arbeit überwunden, ganz für ihn dasein. Vorläufig werde sie sich mit Schlüter beraten, daß er auch das Richtige mitbekomme, und er müsse mit ihr zu Mittag essen, und wann sein Zug gehe, daß sie ihn rechtzeitig zur Bahn bringe. Gustav gab ausweichende Antworten. Er dachte auch nicht daran, ihr die genaue Zeit seiner Abreise mitzuteilen. War tief gekränkt.
    Mühlheim kam vorbei, in Eile, in nervöser Frische. Gustavs Zug ging um acht Uhr, vom Anhalter Bahnhof, Mühlheim hatte ein Schlafwagencoupé reservieren lassen. Er bat Gustav um eine Generalvollmacht; es könne sich in Deutschland allerlei ereignen, was rasches Handeln erfordere. Gustav, wieder eigensinnig, die Furchen über der Nase, erklärte, er sei nicht darauf vorbereitet, Deutschland auf längere Zeit zu verlassen. Wolle sich auch nicht darauf vorbereiten. Mühlheim erwiderte trocken, auch er hoffe, Gustavs Abwesenheit werde nur kurz dauern, aber er sei nicht Herr Hanussen, und besser sei besser. »Im übrigen«, sagte er, »auch wenn du drei Monate fortbleibst oder drei Jahre: da du ein guter Deutscher bist, ist Deutschland da, wo du bist.« Dieses ungewohnte Pathos im Munde Arthur Mühlheims machte Gustav betroffen, und er sagte nichts mehr.
    Er ging, als Mühlheim fort war, herum in seinem schönen Hause, das er liebte. Die Sensation der bevorstehenden Abreise wich von ihm, statt dessen füllten ihn Nachdenken und Trauer. Noch immer redete er sich ein, es handle sich um eine kurze Reise. Aber tief in ihm stak bereits ein Wissen, daß es eine sehr lange Reise sein werde. Er hat zuerst daran gedacht, Sybil zu bitten, sie möge während seiner Abwesenheit zusammen mit Schlüter das Haus betreuen. Jetzt schien Sybil ihm nicht mehr die rechte. Telefonieren wird er noch mit ihr; aber sie nochmals zu sehen, verspürt er kein Bedürfnis. Er könnte François das Haus anvertrauen; der versteht gut, worauf es ihm ankommt. Aber François hat sich ja von ihm abgewandt. Mühlheim ist überlastet; er kann ihm nicht zumuten, sich mitden kleinen Dingen zu befassen, die ihm am Herzen liegen. Ähnlich steht es mit Martin.
    Er ruft

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