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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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er nicht, und hernach hatte sie Gutwetter mit zu sich genommen, in ihre kleine, nette Wohnung, und mit ihm gearbeitet. Ja, der große Essayist hatte in den letzten Wochen immer mehr Gefallen an dem Mädchen Sybil Rauch gefunden, an ihrer behenden Gelehrigkeit, ihrer sauberen Kühle. Nicht nur lag sein gefeierter Essayband »Die Aussichten der abendländischen Zivilisation« mit einer besonders verehrungsvollen Widmung auf ihrem Nachttisch, Friedrich Wilhelm Gutwetter ließ es sich auch nicht nehmen,sich täglich in Person nach dem Gedeihen ihrer Arbeit zu erkundigen. Still in seiner altertümlichen Tracht saß er in ihrem hübschen Zimmer, schaute sie aus strahlenden Kinderaugen an, ging ihr mit geduldigem Rat zur Hand. Sybil ließ sich das gerne gefallen. Hätte Gustav sie darum gefragt, so hätte sie es ihm wohl auch mitgeteilt. Allein er war in diesen Tagen sehr mit sich selbst beschäftigt und fragte nicht.
    Es war spät geworden, und sie war sehr unmutig, daß er sie jetzt aus dem Schlaf riß. Er sagte ihr, er müsse morgen fort. Es sei sehr dringlich. Ob sie nicht mitwolle. Es sei ihm wichtig. Er wollte alles auf der Stelle mit ihr durchsprechen, fragte, ob er zu ihr kommen dürfe. Er war enttäuscht und sehr gekränkt, als sie entschieden ablehnte. Sie wolle jetzt schlafen, erklärte sie, sie denke nicht daran, im Halbschlaf Entschlüsse zu fassen. Nach einigem Hin und Her versprach sie, morgen sehr früh zu ihm zu kommen.
    Gustav selber versuchte noch etwas zu schlafen, aber es war ein schlechter, wenig erquickender Schlaf. Er war froh, als es Zeit war für den Morgenritt. Erst nebelte es ein wenig, aber dann klärte es auf. Ein kleiner, erster Frühling war da, graugrüner, kaum wahrnehmbarer Flaum war über dem Gesträuch. Eine heiße Wut überkam ihn, daß man ihn zwingen wollte, sein Haus zu verlassen, seine Arbeit, seine Menschen, diese Heimat, zehnmal mehr seine Heimat als die derjenigen, die ihn zwangen. Um diese Zeit ist der Grunewald am schönsten. Eine Schweinerei, ihn jetzt verlassen zu müssen.
    »Ich verreise heute, Schlüter«, sagte er, als er vom Pferde stieg. »Auf wie lange fahren Sie, Herr Doktor?« fragte Schlüter zurück. Gustav, nach einem ganz kleinen, nervösen Augenzwinkern, erwiderte: »Auf zehn bis vierzehn Tage.« – »Dann packe ich den Smoking ein und Sportsachen«, schlug Schlüter vor. »Ja, Schlüter«, sagte Gustav, »tun Sie das. Ich nehme auch die Skier mit.« – »Schön, Herr Doktor«, sagte Schlüter.
    Nun er erklärt hatte, daß er nur vierzehn Tage bleiben werde, fiel Gustav die ganze Reise leichter. Eines drängte sich ihm plötzlich vor, entscheidend wichtig: ob Sybil mit ihmfahren wird oder nicht. Gespannt wartete er auf ihre Antwort.
    Sybil mittlerweile telefonierte mit Friedrich Wilhelm Gutwetter. Teilte ihm mit, daß Gustav, wohl infolge des Reichstagsbrands, fort wolle und sie gebeten habe, mitzukommen. Gutwetter wußte von nichts. »So?« kam tief und erstaunt seine stille, kindliche Stimme aus dem Apparat. »Der Reichstag hat gebrannt? Wieso denn? Das dürfte doch mehr die Feuerwehr angehen als unsern Freund Gustav.« Sybil mußte lange erklären. Sie selber war auf Vermutungen angewiesen, aber sie war im Erfassen von Zusammenhängen ebenso hurtig wie Gutwetter langsam. Gutwetter gab es schließlich auf, den Zusammenhang ganz zu ergründen, begnügte sich mit der Tatsache, daß Gustav aus Furcht vor den bevorstehenden politischen Ereignissen fliehen wolle. »Ich begreife unseren Freund Gustav nicht, liebe Sybil«, sagte er. »Die Nation ist im Begriff, aus sich heraus einen großen neuen Typ zu gebären. Wir haben die ungeheure Chance, der Geburt dieses gigantischen Embryos beizuwohnen, das erste Gelall dieses herrlichen Ungeheuers abzuhören: und da läuft unser Freund Gustav davon, weil vielleicht ein Rülpser der gebärenden Nation ihm nicht angenehm ins Ohr klingen könnte? Nein, da begreife ich unseren Freund nicht. Ich bin nicht mehr jung, ich bin im Abstieg. Aber trotz der zunehmenden Kälte meiner Jahre würde ich aus der Ferne herbeieilen, um dieses Wachsen der erzenen Haut aus der Nähe zu sehen. Von niemandem würde ich mir das nehmen lassen. Ich beneide Sie, liebe Freundin, daß Sie das große Schauspiel in der Frische Ihrer neugierigen, bereiten Jugend in sich aufnehmen dürfen.« So also sprach kindlich und liebenswert der große Essayist.
    Auch Sybil fand Gustavs Vorsicht im Grunde übertrieben. Die älteren Herren sind mißtrauisch und

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