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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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gewußt, daß Mühlheim wieder daraufkommen werde. Was für Unsinn. Weil der Reichstag brennt, soll er, Gustav, aus Berlin fort. Er sah plötzlich, daß die Quaste des Schlafrocks nachschleifte, er zog die Schnur zurecht, gürtete sie ordentlich. Er denkt nicht daran, fortzureisen. Das wäre ja gelacht. In Deutschland wird natürlich alles ruhig bleiben: wie blamiert käme man sich dann vor, säße man jenseits der Grenze. Aber das kann er Mühlheim nicht sagen. Er kann es sich nicht leisten, ihn nochmals vor den Kopf zu stoßen. Er kann ihn nicht entbehren, er ist verloren ohne ihn, er braucht ihn wie Wasser und Brot.
    Vorsichtig versucht er Mühlheim auseinanderzusetzen, warum er jetzt nicht fort kann. Er ist so gut im Zug mit dem Lessing. Frischlin ist eingearbeitet, man kommt herrlich vorwärts. Er kann das nicht liegenlassen. Sieht Mühlheim nicht vielleicht doch zu schwarz? Er wird beredt. Sucht sich selberdurch seine Argumente stark zu machen. Aber kaum hat er zu sprechen angefangen, weiß er, daß Mühlheim recht hat. Mühlheim hat bis jetzt immer recht gehabt. Was er selber sagt, ist sentimentaler Quatsch, was Mühlheim sagt, die Realität. Dennoch spricht er weiter, ohne Schwung.
    Mühlheim merkte diese Mattheit. Er hatte erwartet, Gustav werde viel mehr Zicken machen. War erleichtert, daß Gustav so wenig heftig widerstrebte. Hätte Gustav ernstliche Schwierigkeiten gemacht, er hätte in dieser schlimmen Nacht nicht die Kraft besessen, ihn herumzukriegen.
    Gustav sah, wie erschöpft Mühlheim war. Was für scheußlich grelle Beleuchtung hat er auch eingeschaltet. Er schaltete die Deckenbeleuchtung aus. Mühlheim hatte sich schon wieder in der Gewalt. »Nicht Watte kauen, Oppermann«, sagte er. »Mach dir selber nichts vor. Diese Jungens führen durch, was sie sich vorgenommen haben. Sie haben sich vorgenommen, aus allen Gegnern, die in Frage kommen, Hackfleisch zu machen. Sie sind Trottel, und sie glauben, du kämest als Gegner in Frage. Ich kann dir nur sagen: türme. Geh nach Dänemark. Oder in die Schweiz. Die Schneeberichte sind nicht günstig, aber sie gehen an. Laß mich hier nicht stehen«, wurde er plötzlich heftig, »und dir stundenlang Plädoyers in den Bauch reden. Ich habe allerhand zu tun. Das wird morgen ein bewegter Tag für mich. Ich möchte gern drei oder vier Stunden Schlaf haben. Du wirst mich doch nicht los, eh du ja gesagt hast. Sag ja, Oppermann.«
    Gustav sah die Dringlichkeit, die Erregung des andern. Er glaubte ihm, obgleich er die Einzelheiten immer noch nicht ganz erfaßte. »Aber du kommst doch mit?« fragte er, töricht wie ein kleiner Junge.
    »Begreife doch, daß ich das nicht kann«, erwiderte ungeduldig, beinahe grob Mühlheim. »Ich hin hier nicht gefährdet, wenigstens vorläufig nicht. Ich habe mich niemals exponiert wie du. Und ich bin hier wichtiger als du, deinen Lessing in Ehren. Es werden morgen fünfzehn, zwanzig Leute in meinem Büro sitzen, für die bin ich der letzte Schluck in derPulle. Ich kann dir hier nicht das ganze Gesetzbuch aufsagen, Mensch«, unterbrach er sich plötzlich und stand auf: »Ich sage dir zum letztenmal: wenn du dich nicht einlochen lassen willst oder noch Schlimmeres, dann türme.«
    Gustav wurde plötzlich außerordentlich ruhig. Er liebte Mühlheim, wenn er etwas volkstümlich wurde. Dann hatte er immer recht. Trocken, auf den Ton des Freundes eingehend, erwiderte er: »Du wirst lachen: ich tu’s. Ich reise. Morgen. So, und jetzt trinken wir noch einen Kognak, und dann fährst du nach Haus und legst dich ins Bett. Oder, wenn du willst, kannst du dich auch hier schlafen legen. Und dann laß ich dir noch zwei oder drei Tage für deine Geschäfte, und dann kommst du mir nach.«
    Mühlheim atmete hörbar auf. »Eine lange Leitung hast du, Oppermann«, sagte er. »Die Taxe hat für mindestens zwo Mark warten müssen. Damit belaste ich dich, mein Lieber.« Gustav brachte ihn an die Taxe. »Ich danke dir auch, Mühlheim«, sagte er. »Ich war ein Idiot, daß ich die Geschichte drei Wochen anstehen ließ.« – »Red keinen Quatsch«, sagte Mühlheim, stieg in die Taxe, gab die Adresse, schlief ein.
    Gustav ging ins Haus zurück, duschte sich kalt ab. Fühlte sich frisch, erregt. Er mußte jemandem mitteilen, was ihm zugestoßen war. Er rief Sybil an.
    Sybil meldete sich, aus dem Schlafe gestört, unwirsch, schmollend wie ein Kind. Sie war in der Oper gewesen, das wußte er. Aber sie war mit Friedrich Wilhelm Gutwetter dort gewesen, das wußte

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