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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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Martin an, sich von ihm zu verabschieden. Martin findet, Gustav tue recht, zu türmen. Er möchte es am liebsten auch, aber Wels ist zu gefährlich, er kann jetzt die Geschäfte nicht im Stich lassen. Beide Brüder bedauern, einander in diesen Wochen nicht nahe zu sein. Dennoch ist kein rechter Kontakt da, sie sind beide zu eingesperrt in ihre eigenen Sorgen.
    Den Hörer eingehängt, überlegt Gustav weiter. Es ist keine behagliche Überlegung. Es sind sehr wenig Menschen, die ihm wirklich nahestehen. Gutwetter? Er ruft ihn an. Friedrich Wilhelm Gutwetter ist still, herzlich, kindlich wie immer. Wenn einer es bedauert, daß Gustav fortgeht, dann ist er es. Er vermag auch die Gründe nicht recht einzusehen. »Aber unser gemeinsamer Freund Mühlheim versteht das sicher besser«, meint er friedfertig. Es wärmt Gustav das Herz, Gutwetter sprechen zu hören. Aber es hat keinen Sinn, ihn mit der Sorge für das Haus zu belasten; er ist zu ungeschickt in allen praktischen Dingen.
    Er sitzt müßig, mustert im Geiste die Gesichter seiner Freunde. Wie ein Dorn im Fleisch quält ihn der Gedanke, er habe etwas vergessen, verabsäumt. Mehrmals schon heute hat ihn das gequält. Aber von selber kommt er nicht darauf. Er muß es dem Zufall überlassen, ihn darauf zu bringen. Erzwingen kann man das nicht.
    Dann kommt Dr. Klaus Frischlin, zur Arbeit. Merkwürdigerweise gelingt die Arbeit. Es wird Mittag, man macht Schluß mit dem Manuskript. Frischlin will sich verabschieden. Er steht da, dünn, mit schlechtem Teint, spärlich behaart. Und auf einmal findet Gustav diesen Mann vor den andern zäh, beflissen, verlässig, und es reißt ihm den Mund auf: »Ich verreise, Dr. Frischlin. Ich hoffe, nur auf kurze Zeit. Wenn es aber längere Zeit werden sollte, dann, bitte, betreuen Sie mein Haus, meine Bücher und was mir lieb ist. Sie wissen ja Bescheid.« Still und ernsthaft erwidert Frischlin: »Bitte, verlassen Sie sich auf mich, Dr. Oppermann.«
    Zusammen mit Frischlin sucht Gustav aus, welche von seinen Büchern er mitnehmen soll. Am liebsten möchte er seine ganzen Bücher mitnehmen, nicht nur die Bücher, er möchte die Bilder Immanuel Oppermanns und Sybils aus ihren Rahmen herausschneiden, das »Auge Gottes« mit sich schleppen, seine Schreibmaschine, seinen Arbeitstisch, das ganze Haus. Er kommt sich lächerlich vor. Er nimmt nichts mit. Nicht einmal sein Manuskript; denn ohne Bibliothek kann er doch nicht arbeiten. Er wird vierzehn Tage wegbleiben, nicht länger. Er wird nicht durch Mitnahme dessen, was ihm lieb ist, böse Mächte beschwören, seine kurze Abwesenheit zu einer langen zu machen.
    Nach dem Mittagessen geht er in seinen Garten. Schreitet hinunter, die Stufen der ersten Terrasse zur zweiten, der zweiten zur dritten. Waldig und hügelig hebt es sich um ihn. Es ist der 28. Februar, aber es wird wahrhaftig schon Frühling. Ist es Einbildung, oder ist wirklich der mattgrüne Hauch über dem Gesträuch, heute früh noch kaum wahrnehmbar, schon deutlicher geworden? Gustav füllt sich mit dem vertrauten Anblick, saugt den vertrauten Geruch ein, ist sehr betrübt.
    Und auf einmal, ohne erkennbaren Anlaß, fällt ihm ein, was ihn immerzu gequält hat. Ja, das muß er noch erledigen. Er kann nicht abreisen und ein solche Enttäuschung hinter sich in Berlin zurücklassen. Aber dann kann er nicht um acht Uhr fahren. Das ist gleich. Es gehen noch spätere Züge nach der Schweiz.
    Sogleich telefoniert er Mühlheim, er müsse seine Abreise verschieben. Warum? fragt Mühlheim. Gustav nennt ihm keinen Grund, aber er besteht auf dem späteren Zug. Mühlheim ist ärgerlich. Die Züge sind überfüllt, Gustav werde kein Schlafwagencoupé bekommen. Und davon abgesehen, je früher er fahre, so besser sei es. Aber »ich habe meine Gründe, Mühlheim«, sagt Gustav, läßt ihn reden, lächelt, disponiert um. Er wird also den Zug um halb elf nehmen.
    Um neun Uhr ist er im Theaterklub und ißt dort zuAbend. Dann geht er in den Speisesaal, als ob er jemand suchte. Der Saal ist noch vollkommen leer, nur der alte Klubdiener Jean steht am Eingang. Gustav geht an ihm vorbei, drückt ihm ein Fünfmarkstück in die Hand. »Ich war gestern ein wenig zerstreut«, sagt er, »entschuldigen Sie, Jean.« Der Alte dankt auf seine würdige Art, unmerklich und doch betont. Jetzt kann Gustav in Ruhe reisen.
    Am Anhalter Bahnhof stellte sich heraus, daß der listige Mühlheim durch Bestechung eines Schaffners doch noch ein Schlafwagencoupé für Gustav ergattert

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