Die Gesellschaft des Abendsterns
zwanzig Schritte hinter ihr. Hinter ihm sah Kendra einen extrem fetten Kobold, der sich soeben durchs Fenster zwängte. Er passte kaum hindurch und fiel mit dem Kopf voraus in das Blumenbeet.
Kendra schaute wieder geradeaus und lief zwischen den ersten Bäumen in den Wald hinein. »Mendigo!«, rief sie. Spitze Steine und Stöcke stachen in ihre nackten Fußsohlen. Sie lief durch Blätter und Unterholz. An einigen Stellen war der Boden matschig.
Kendra hörte den Kobold hinter sich näher kommen. Zweige krachten, als er durch die Büsche trampelte. Dann hörte sie ein Rascheln seitlich neben ihr. Der drahtige Kobold war jetzt nur noch ungefähr fünf Schritte entfernt. Kendra hatte keine Hoffnung mehr, ihm zu entkommen. Jetzt hörte sie Schritte aus derselben Richtung, aus der zuvor das Rascheln gekommen war, nur näher. Dann teilte sich das Buschwerk, und Mendigo erschien.
Ein Bündel traf Kendra an der Brust, und sie brauchte einen
Moment, um zu begreifen, dass es ihre und Seths Kleider waren, zusammen mit Tanus Beutel. Mendigo rannte los, warf sich auf den Kobold und brachte ihn zu Fall. Sie rangen auf dem Boden miteinander.
»Mendigo, halte den Kobold auf«, sagte Kendra. »Aber töte ihn nicht.«
Als Kendra wieder zum Hof hinüberschaute, konnte sie sehen, dass der torkelnde dickleibige Kobold inzwischen beinahe die Bäume erreicht hatte. Mendigo hielt den drahtigen Kobold in einem kunstvollen Ringergriff. Kendra raffte das Bündel aus Kleidern und Beutel zusammen und versuchte, sich über ihren nächsten Schritt klar zu werden. Was würde geschehen, wenn der fette Kobold sie erreichte? Er war viel größer als der drahtige. Vielleicht konnte sie ihm davonlaufen, er war bestimmt langsamer. Keiner der beiden war der Kobold, den Kendra im Kerker gesehen hatte. Von den dreien war der Kobold im Kerker der muskulöseste und wirkte am gefährlichsten.
Etwas anderes kam ihr krachend durch den Wald entgegen. Aus der entgegengesetzten Richtung. Nach einem Moment sah sie, dass dieses Etwas einen Bademantel trug. »Seth!«, rief sie.
Seth hielt einen Metallstab in der Hand, bei dem es sich um den Artefaktschlüssel handeln musste. Zuerst warf er einen Blick auf Mendigo, der sich immer noch auf dem Boden balgte, dann auf den schnell näher kommenden fetten Kobold. »Mendigo«, befahl Seth, »brich ihm die Arme.«
»Was?«, rief Kendra aus.
»Wir müssen sie irgendwie aufhalten«, erwiderte Seth.
Mendigo veränderte seinen Griff, drückte sein hölzernes Knie auf den Rücken des Kobolds und bog dann einen seiner Arme in eine bestimmt sehr unangenehme Position und riss kräftig daran. Kendra wandte den Blick ab, aber das grässliche
Knacken hörte sie trotzdem. Der Kobold heulte auf. Ein zweites Knirschen folgte.
»Mendigo«, begann Seth von neuem, »brich ihm auch die Beine und mach dann das Gleiche mit dem anderen Kobold.« Kendra hörte weitere widerwärtige Geräusche.
Sie öffnete die Augen. Der drahtige Kobold wand sich mit verdrehten Gliedern auf dem Boden, und der fette Kobold, der sich durchs Unterholz pflügte, hatte sie beinahe erreicht. Mendigo eilte ihm entgegen. Die Holzpuppe wich einem Boxhieb aus und stürzte sich auf die Kreatur. Der fette Kobold bekam Mendigo in der Luft zu fassen und schleuderte ihn beiseite.
Aus der Nähe betrachtet, wurde Kendra klar, dass dieser Kobold nicht nur viel breiter und dicker war als der andere, er war auch mindestens einen Kopf größer. Mendigo krabbelte auf allen vieren, stürzte sich auf die Beine des Kobolds und versuchte, ihn zu Fall zu bringen. Der große Kobold packte ihn einfach und drosch ihn gegen einen Baum. Einer von Mendigos Armen löste sich aus dem Gelenk und fiel zu Boden.
Seth, der kurz unsichtbar gewesen war, tauchte plötzlich wieder auf und schlug dem Kobold den Schlüssel gegen die Schläfe. Der riesige Kobold geriet ins Taumeln und fiel auf die Knie. Mendigo hängte hastig seinen Arm wieder ein. Der Kobold erhob sich schnaufend, rieb sich den Kopf und funkelte mit wütenden Augen in die Runde. Seth hielt still und war wieder unsichtbar.
»Mendigo«, befahl Seth, »nimm den Schlüssel und schlag damit den großen Kobold.« Seths Silhouette flackerte kurz auf, als er Mendigo den Metallstab zuwarf. Sofort stürzte sich der Kobold auf Seth, aber Mendigo reagierte blitzschnell und schwang den Schlüssel mit weit größerer Kraft, als Seth es getan hatte.
Der Kobold hob noch einen Arm, um den Schlag abzuwehren, aber die Wucht des Aufpralls war
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