Die Gesellschaft des Abendsterns
jetzt sind.«
»Zumindest wären wir nicht tot.«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, entgegnete Seth. »Es braucht nur einer von uns einzuschlafen, und wir werden alle möglichen Schwierigkeiten kriegen.«
»Ich schlage auch nicht vor, dass wir uns unter einem Baumstamm verstecken. Ich sage, wir nehmen Mendigo mit und versuchen, den Sphinx zu finden. Wir brauchen die Straße nicht zu benutzen. Wir können über das Tor klettern und durch den Wald gehen, damit man uns nicht sieht. Unsere Chancen würden viel besser stehen.«
»Warum sollten unsere Chancen dabei besser stehen? Wir haben keine Ahnung, was außerhalb der Tore auf uns wartet! Wir haben keine Ahnung, wo der Sphinx ist! Wir wissen nicht einmal, ob er noch lebt!«
Kendra verschränkte die Arme vor der Brust. »Er lebt seit Hunderten von Jahren, und ganz plötzlich wird er getötet?«
»Könnte doch sein. Diese Artefakte waren seit Jahrhunderten versteckt, und ganz plötzlich werden sie gefunden.«
»Du nervst«, erklärte Kendra.
»Das sagst du immer, wenn ich Recht habe!«, protestierte Seth.
»Das sage ich, wenn du einfach nicht den Mund halten willst.« Kendra stand auf. »Ich muss mal ins Bad.«
»Sag mir zuerst, dass wir uns auf die Suche nach dem Artefakt machen werden.«
»Auf keinen Fall, Seth. Wir verlassen das Reservat.«
»Jetzt hab ich’s!«, sagte Seth. »Wie wär’s, wenn du gehst und ich das Artefakt hole?«
»Tut mir leid, Seth. Ich habe schon mal geglaubt, du wärst tot. Ich will dich nicht noch einmal verlieren.«
»Es wäre ein guter Plan«, entgegnete er mit etwas mehr Nachdruck. »Ich mach mich auf die Suche nach dem Artefakt, und du holst Hilfe. Es ist beides nicht einfach, aber jeder von uns kann es allein tun.«
Kendra ballte die Fäuste. »Seth, gleich flippe ich aus! Ich will nichts mehr über das Artefakt hören. Dein Vorschlag ist purer Wahnsinn. Kapierst du nicht, wann eine Idee zum Scheitern verurteilt ist? Bist du auf Selbstzerstörung programmiert? Wir bleiben zusammen, und wir verlassen Fabelheim. Vielleicht hält ja gar niemand dort draußen Wache. Das sind alles bloß Vermutungen. Wir müssen vorsichtig sein, aber unsere beste Chance ist es, irgendwie den Sphinx zu finden. Hoffentlich sucht er bereits nach uns.«
»Schön, du hast Recht«, erwiderte er knapp.
Kendra war sich nicht sicher, wie sie reagieren sollte. »Meinst du?«
»Es spielt keine Rolle, was ich meine«, sagte Seth. »Die Feenprinzessin hat gesprochen.«
»Du bist ein Blödmann«, schnaubte Kendra.
»Das ist nicht fair«, erwiderte Seth. »Wenn ich dir Recht gebe, bin ich ein Blödmann, und wenn ich’s nicht tue, bin ich verrückt.«
»Es geht darum wie du mir Recht gibst«, erklärte sie. »Kann ich jetzt ins Bad gehen?«
»Du tust doch sowieso, was du willst, ganz gleich, um was es geht«, sagte Seth.
Kendra ging ins Bad. Seth war so ein Hitzkopf. Es wäre Wahnsinn, sich auf die Suche nach dem Artefakt zu machen. Wenn sie erfahrene Abenteurer gewesen wären wie Tanu, wäre es vielleicht ein Risiko gewesen, das einzugehen sich lohnte. Aber sie wussten rein gar nichts. Es war ein sicherer Weg in die Katastrophe. Aus Fabelheim wegzulaufen, war beängstigend, aber weniger gefährlich als der Wiedergänger und die Fallen, die das Artefakt bewachten.
Kendra massierte sich die Schläfen und versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Sie geriet immer durcheinander, wenn sie übermüdet war. Ein Teil von ihr wollte das Bad gar nicht mehr verlassen. Sobald sie wieder in den Wohnraum ging, würde sie mit Seth und Mendigo hinaus in die Nacht laufen und aus dem Reservat fliehen müssen. Und dabei hatte sie nur einen einzigen Wunsch: Sie wollte sich in ein Bett kuscheln und schlafen.
Kendra wusch sich die Hände und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Widerstrebend kehrte sie in den Wohnraum zurück. Warren saß allein am Tisch. »Seth?«, rief sie.
Der Tränkebeutel war offen. Der Schlüssel war verschwunden. Auf dem Tisch lag ein Zettel und daneben der Unsichtbarkeitshandschuh. Kendra griff hastig nach dem Blatt Papier.
Liebe Kendra,
ich habe Mendigo mitgenommen und mache mich auf die Suche nach dem Artefakt. Ich werde ihn zurückschicken, sobald er mich zu dem Hain gebracht hat.
Sei nicht böse auf mich.
Halte aufmerksam Ausschau und unternimm nichts, bis Mendigo zurückkommt. Dann mach dich auf die Suche nach dem Sphinx. Ich habe dir den Handschuh dagelassen. Alles Liebe,
Seth
Ungläubig und entsetzt las Kendra den Brief
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