Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen
die Westberliner Bananen und Orangen reichten?
Die Tür ging auf. Rosas Herz überschlug sich.
Doch es war nur Lou mit einem Paket. »Du bist ja wach.«
Enttäuscht schaltete Rosa um und horchte auf, als sie vom Tod Alfred Herrhauses hörte. Der Chef der Deutschen Bank sei heute Morgen das Opfer eines Bombenanschlags geworden. Terroristen hätten sein gepanzertes Fahrzeug, mit dem er von seinem Haus in Bad Homburg nach Frankfurt gefahren war, durch eine Fernzündung in die Luft gesprengt. Der Neunundfünzigjährige hatte eine Frau und zwei Kinder.
Rosa zuckte zusammen, als ihre Schwester sie mit dem Ellbogen stieß, nur schwer konnte sie sich vom Bildschirm lösen. »Hier, dein Sohn .« Das Geschenk auf Lous Arm bewegte sich, trug eine kleine Mütze, hatte einen Strampler an und ein winziges, blau verfärbtes Gesicht mit zusammengekniffenen Augen.
»Das gibt sich noch«, sagte Lou, als hätte sie Rosas Gedanken gelesen. »Für den Kleinen war der Kaiserschnitt auch eine Strapaze, hat der Arzt gesagt.« In dem Moment öffnete das Kind die Augen. Es waren Felix’ Augen. Rosa wandte sich wieder dem Fernseher zu. Der Sender zeigte Bilder vom Tatort. Um kurz nach halb neun erschütterte eine gewaltige Detonation das Bad Homburger Kurviertel. Der gepanzerte Mercedes von Alfred Herrhausen wurde durch die Luft geschleudert und total zertrümmert. Der Vorstandssprecher starb noch im Wagen, sein Fahrer überlebte schwer verletzt. Auf einem Fahrrad sei die Bombe am Straßenrand montiert und per Lichtschranke gezündet worden. Die Leibwächter, die hinter Herrhausen gefahren waren, blieben unverletzt. Das BKA vermutete noch eine weitere Bombe, deshalb konnten sie Herrhausen Leichnam erst nach Stunden bergen.
Fahrrad, Lichtschranke, A.H. Die Zeichnung aus dem Schreibtisch des Staatssekretärs. Seit dem letzten Treffen mit Felix hatte sie nicht mehr daran gedacht. Wie kam eine Zeichnung der Terroristen in die Schreibtischschublade des Innenministeriums? Wenn das Herrhausen-Attentat schon über ein halbes Jahr vorher geplant gewesen war, wieso hatte der Verfassungsschutz – oder wer auch immer sich um die Sicherheit gefährdeter Personen kümmerte – es dann nicht verhindert? Erst als sie sich schon getrennt hatten, bemerkte sie, dass sie Felix die Kopien der Papiere aus der Mappe gar nicht gegeben hatte. Wie immer, wenn sie nicht wusste, wann sie sich wiedersehen würden, sperrte sie die Kopien samt dem zweiten Mikrofilm, den sie ihm ebenfalls verschwiegen hatte, ins Schließfach der Deutschen Bank. Was, wenn sie die Dokumente mit der merkwürdigen Zeichnung jetzt der Polizei zukommen ließ? Was bedeutete es, dass der Staatssekretär des bayerischen Innenministeriums lange vor dem Attentat von den Plänen gewusst hatte?
»Mach endlich den Flimmerkasten aus.« Lou nahm ihr die Fernbedienung aus der Hand und schaltete ab. »Ich habe dir deine Bücher mitgebracht.« Rosa nickte mechanisch. In einem Fach des Rollwagens erkannte sie die zerfledderten Taschenbücher ihrer Jugend. Tschechows Erzählungen waren auch darunter. Lou legte ihr das Kind samt Fläschchen in die Arme. Ihre Schwester ahnte nichts von Rosas heimlicher Tätigkeit, sie dachte, das Kind wäre von einem Russen, den Rosa auf einer Konferenz kennengelernt hatte.
»Ist es nicht ein Wunder?« Lou strich ihr zärtlich über die Wange. Ja, das war es. Der Kleine trank gierig aus dem Fläschchen. Ein Milchfaden lief seitlich aus seinem winzigen Mund.
»Wie soll er überhaupt heißen? Simon oder Thomas wäre doch schön«, schlug sie vor.
»Wegen dem Thomas aus der Berufsschule, in den du verknallt warst?« Rosa lächelte und wollte ihre Schwester umarmen. Doch ein brennender Schmerz von der Kaiserschnittnaht durchfuhr sie. Herrhausen, eingeklemmt im gepanzerten Mercedeswrack. Sie stöhnte auf.
»Lass dir doch was gegen die Schmerzen geben.« Ihre Schwester drückte den Alarmknopf.
Was nützte es den Angehörigen jetzt noch, wenn Rosa die Attentatszeichnung preisgab? Herrhausen war tot, ermordet, von wem auch immer. Und für Rosa begann ein anderes Leben. Terror und Überwachung würde sie nie mehr stenografieren.
13.
»Den will ich aber zurück, für den Fall, dass mal was ist mit dem Wasser oder dem Gas.«
Sie hatte sich beim Hausmeister als die neue Mieterin aus dem vierten Stock vorgestellt, und er, mit einer dreifarbigen Katze auf dem Arm, hatte ihr widerwillig den Ersatzschlüssel überlassen. Sie versprach ihn so bald wie möglich wiederzubringen und
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