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Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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»Hat der Vormieter nicht richtig gestrichen und geputzt, oder was?«
    Wanda fädelte sich auf dem Mittleren Ring nach links ein, was der dunkle Van neben ihnen mit einem lautstarken Hupkonzert kommentierte. Ihr Fahrstil erinnerte Carina an Mexiko-Stadt. Keiner dort schien zu wissen, wozu die Ampeln aufgestellt waren.
    »Jetzt sag schon«, drängte sie.
    »Also dein Vormieter … Das war wirklich ein komischer Kauz.«
    Als Carina vor zwei Monaten mit ihm telefoniert hatte, wirkte alles ganz unkompliziert. Sie hatte die Dachgeschosswohnung übers Internet gefunden. War das etwa ein Schwindel gewesen? Wanda hatte doch die Besichtigung übernommen und war ähnlich begeistert gewesen wie sie. Sogar einen Zwiebelturm-Erker sollte es geben.
    »Dirigent ist der, glaube ich«, erklärte Wanda. »Zieht jetzt nach Spanien, weil dirigieren kann er überall, und … «
    »Was ist denn mit der Wohnung? Der Schlüssel – ist der hier?«, unterbrach Carina und öffnete das Handschuhfach. Ein Fehler. Gebrauchte Taschentücher, Haargummis und Schminkutensilien fielen heraus.
    »Na ja, also … ich finde ihn nicht mehr, ich habe schon mit Sandro zusammen gesucht.«
    »Was?«
    »Beruhig dich. Als ich die Sachen für den Flohmarkt gepackt habe, da muss er … «
    Carina drehte sich um und spähte in den Kofferraum. »Du willst doch nicht behaupten, dass in einer der vielen Kisten da hinten mein Wohnungsschlüssel steckt. Wanda!«

3.
    »Eva« stand auf dem Klingelschild. Das konnte nur Glück und einen Neuanfang bedeuten. Diesmal war er besser vorbereitet, ein weiteres Mal würde ihm die Liebste nicht entkommen. Sogar an ein Buch hatte er gedacht. Sein Ägyptenbuch, das er seit seiner Kindheit, noch bevor er lesen konnte, besaß und das ihm bei seiner ersten Geliebten äußerst nützlich gewesen war. Im alten Ägypten gab es keine Frischhaltefolie, sie vergruben ihre Toten einfach im Sand. Erst später begannen sie sie zu salben. Gemäß der Beschreibung im Buch hatte er Maries abgetrennte Hand eingerieben und in Tücher gewickelt. Allerdings benutzte er kein Salböl, sondern Anti-Aging-Puder, der ihn von der Farbe her an Wüstensand erinnerte und von dem es bei ihm zu Hause genügend gab. Da konnte das Zeug beweisen, ob es was taugte. Wie ein glatt gelutschtes Hustenbonbon färbte sich die Haut nach ein paar Tagen hellgrün und schrumpfte zusammen. Nun konnte er Maries Hand bequem in der Hosentasche tragen und sich sogar damit streicheln, wenn ihm danach war.
    Er lehnte sich zurück und spähte die Fassade hinauf. Evas Balkon musste der blumenüberwucherte auf halber Höhe sein. Das passte zu ihr – als er ihr begegnete, war sie selbst eine Knospe gewesen, der er helfen wollte, sich zu entfalten. Verdeckt zwischen den Büschen im Innenhof konnte er einfach hochklettern und sich auf sie fallen lassen, wenn sie dort oben lag und die Herbstsonne genoss. Sie würde überrascht den Mund aufreißen, ihn dann wiedererkennen und umfangen. Die Vorstellung erregte ihn. Er legte die Finger auf den Klingelknopf. Hart und kalt fühlte er sich an. Er klingelte und erschrak im nächsten Moment über sich selbst. Manchmal passierte es, dass seine Gedanken und sein Körper keine Einheit bildeten, dass er etwas tat, was er später bereute. Daran musste er noch arbeiten, das durfte nicht sein. Es hing mit der Forelle zusammen, die damals in seinem Kopf geschlüpft war, als Larve noch, die sich an ihm nährte und schnell gewachsen war. Sie hauste in ihm und schlug immer dann mit ihren Flossen gegen seine Schädelwände, wenn er nicht damit rechnete. Etwas in ihm verkrampfte sich dann und er musste seinen Kopf festhalten, bis die Forelle Ruhe gab und nur noch schwach nach Luft schnappte.
    Oben schlug jetzt ein Hund an, mit ohrenbetäubendem Gebell. Er mochte Hunde, kalbsgroße ebenso wie Wadenbeißer; sie sprachen mit den Augen, genau wie er. Klar, so eine schöne Frau wie Eva brauchte einen Beschützer; warum nur hatte sie ihn neulich nicht dabeigehabt? Dann hätte er sie gleich um den Finger wickeln können. Er verstand was von Tieren, konnte sie ohne Worte zähmen.
    Oder hatte er falsch geklingelt? Wenn Eva durch ein Fenster zu ihm hinunterrief, würde er sie sofort erkennen. Wie alle anderen Geräusche hatte er ihre Stimme in seinem Inneren verwahrt, konnte den Klang abrufen, sobald er die Augen schloss. Nur ihr Gesicht war einfach ein hautfarbener Fleck ohne Konturen. Anfangs dachte er, er müsste sich täuschen, so eine schöne Frau konnte

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