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Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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sie, beobachtete, wie das Eis schmolz und durch ihre lackierten Zehen tropfte. Erst als Rosa ein Geräusch an der Tür hörte, rührte sie sich. Ihr Liebster kehrte heim, um die Welt wieder geradezurücken.

29.
    Mit Clemens zusammen holte Carina den Hund aus dem Tierheim. Frisch gebadet und von Frauchens Blut gereinigt bekam Gandhi einen Maulkorb umgelegt. Sein weißes Fell habe am Latz und um die Schnauze herum von Natur aus eine rosa Tönung, erklärte der Tierpfleger. Nicht dass es noch Beschwerden gab, er hätte seine Arbeit nicht gut genug gemacht. Zurück durch den Englischen Garten, konnten sie mit Gandhi kaum Schritt halten. Vor Freude über die wiedergewonnene Freiheit zerrte er unter jeden Busch, schnüffelte an jedem Mauseloch, hob an jedem Pfosten sein Bein. Clemens hetzte ihnen samt Tierarztkoffer hinterher. Bald rannten sie zu dritt durch die warme Herbstsonne und ließen sich schließlich erschöpft zu Füßen des Monopteros auf die Wiese fallen. Auch Gandhi hechelte in seinem Maulkorb.
    »Der hat’s gut«, sagte Clemens, als Carina dem Hund den Bauch kraulte.
    »Ja, finde ich auch.« Sie zog ihre Jacke aus und legte sich zurück, obwohl das Gras nass war. Wenn sie eines von den Mexikanern gelernt hatte, dann Zeit zu haben, das Leben zu genießen und sich nicht stressen zu lassen. Deshalb schob sie den Gedanken an die Rekonstruktion, mit der sie eigentlich beginnen sollte, vor sich her. Wenn ein Mexikaner sagte, er sei unterwegs, hieß das, er war eigentlich noch gar nicht losgefahren. Mañana! Das am meisten benutzte Wort. Morgen oder übermorgen würde sich alles finden. Als Ausländer brachte einen das aus der Fassung, wenn man auf den Bus oder vor einem geschlossenen Laden wartete. Aber es bedeutete nichts anderes, als den Augenblick zu genießen. In Mexiko unterbricht nichts den Fluss der Zeit, weder die Geburt noch der Tod. Clemens streichelte ihre nackten Arme.
    Sie bremste seine Hand. »Ich weiß gar nichts über dich, wer du bist, wo du wohnst. Außer dass deine Tante Zahnärztin ist.« Er zog eine Visitenkarte aus dem Tierarztkoffer und gab sie ihr.
    Lachend steckte sie sie ein. »Von wem stammt eigentlich der alte Koffer?«
    »Vom Flohmarkt.«
    Das erinnerte sie an ihren Schlüssel. Carina musste wohl abwarten, bis Wandas Ramsch verkauft war. »Also, Dr. Schäfer, erzähl was von dir. Aber … «
    »Was aber?«
    Sie strich über die Lebenslinien in seiner Handfläche. »Ich will keine neue Beziehung.«
    »Das passt mir gut. Ich auch nicht.« Er fuhr mit den Fingerspitzen die Konturen ihres Mundes nach. Das kitzelte. Er küsste sie schnell, legte sich dann dicht neben sie. Gemeinsam schauten sie in die Wolken. Gandhi hatte seine eingesperrte Schnauze auf Carinas Waden gelegt und beobachtete sie beide unter immer schwerer werdenden Augenlidern.
    Am Hundeverbotsschild vorbei führten sie Gandhi in den Institutskeller. »Die Chefin hat’s genehmigt«, erklärte Carina Frau Schauer, die schon den Mund aufgerissen hatte. Allerdings schloss sie ihn sofort wieder, als sie Clemens erspähte, wandte sich eilig ab und wühlte in einer Schublade. Beide taten so, als hätten sie sich noch nie gesehen. Nusser wollte ebenfalls protestieren, als sie an der offenen Tür zu seinem Bestiarium, dem Präparatorenzimmer, vorbeigingen. Gandhi knurrte. Sie flehte stumm darum, dass er nicht zu bellen anfing, denn dass sie den Hund in der Rechtsmedizin betäuben wollten, ahnte Feininger nicht. Aber Gandhis schwarzer Fleck ums Auge, der in der Form Nussers Kinnbärtchen ähnelte, schien dessen Herz zu erweichen. Für den Fall, dass der Versuch misslang, erbat er sich schon einmal die Hundeleiche zum Ausstopfen für seine Sammlung.
    »Nichts da«, sagte Carina. »Seinem Frauchen habe ich versprochen, dass ihm kein Haar gekrümmt wird.«
    Endlich vom Maulkorb befreit, gähnte Gandhi laut und stürzte sich dann auf das Trockenfutter, das Carina ihm gab, damit Clemens ihn mit einer Spritze betäuben konnte. Sabbernd und schmatzend schlief der Hund ein. Sie wuchteten ihn auf den Schreibtisch und schraubten eine Sperre in sein Maul, dann drückte Clemens die Gebisslöffel mit rosa Knete auf die Hundezähne. Den erstarrten Abdruck gossen sie mit Gipsmasse aus. An alles hatte Clemens gedacht und seinen Tierarztkoffer mit zahnmedizinischen Geräten bestückt. Anschließend spannten sie ein Stück Käse an den Haken einer Waage und testeten die Zugkraft. Die Gipszähne verfingen sich im Edamer und rissen ihn entzwei. Als

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