Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen
Nächstes brachte Nusser ein Stück Schwarte. Die Hundezähne, wie bei einer Stoffpuppe an eine Hand gesteckt, konnten die Haut nicht packen, lediglich ein Loch hineinbeißen, und das auch nur unter größtem Kraftaufwand.
»Wir müssen es an einem Menschen ausprobieren«, schlug Carina vor. Nachdem sie die Selbstmordleiche, bei der das Gesicht noch intakt war, aus dem Adventskalender geholt hatten, behauptete Carina, sie müsste noch aufs Klo, rannte die Treppe hinunter und ließ Clemens allein mit dem Aufzug in den Keller fahren. Mit einer Gesichtsfarbe, die zum Abdecklaken der Leiche passte, schob Clemens die Bahre aus den Türen.
»Hast du etwa Platzangst?«, fragte Carina.
»Nein, es liegt eher an der dicken Luft hier drin.« Er schluckte. »Tote Tiere ja, aber tote Menschen … Du bist gruselig, Carina.«
Erst als Carina die Gesichtshaut der Leiche einschnitt, gelang es Clemens als Hundegebiss-Spieler, die Haut mit den Reißzähnen zu packen. Doch Eva Bretschneider hatte keine derartigen schlitzförmigen Wunden gehabt. Auch war ihr Gesicht nicht zerfleischt, sondern die Haut war abgezogen und hochgeklappt worden. Sie befestigten das Gebiss an der Waage und maßen den Zug, den es brauchte, um die Haut vom Gewebe zu lösen. Die Anzeige stieg um ein Vielfaches. Unmöglich hätte ein Tier dieser Größe sein Frauchen auf diese Weise verstümmeln können. Damit war bestätigt, dass es ein menschlicher Täter mit Hilfe eines Werkzeugs gewesen sein musste. Carina beschloss Matte zu fragen, ob eine Tatwaffe, ein Messer mit Blutanhaftungen oder etwas in der Art in Frau Bretschneiders Wohnung gefunden worden war.
Als hätte Gandhi nur seinen Freispruch abgewartet, kam er auf seiner Zunge kauend langsam zu sich.
Carina sah auf die Uhr. »Ich muss meinen Neffen vom Kindergarten abholen.« Sie bat Nusser, die Leiche zurückzubringen, streifte sich die Handschuhe ab und desinfizierte sich die Hände.
»Warte.« Clemens band ihr den Kittel auf, küsste sie in den Nacken und fuhr ihr unters T-Shirt.
»Nicht hier.« Sie wandte sich zu ihm um und zerrte ihn in die Abstellkammer, wo sie im Dunkeln über Kartons stolperten. Carina fegte Rollen und ein Metallgestänge von einer Liege und zog Clemens an sich. Sie konnten doch nicht … dachte sie noch, doch sie konnten; außerdem war es ihre eigene Werkstatt samt Nebenraum, und was sie darin trieb und mit wem, war ihre Sache. »Aber es bleibt dabei … «, sagte sie und zupfte sein Hemd aus der Hose.
»Bei was?« Er hakte ihren BH auf, streichelte mit warmen Händen ihre Brüste.
»Keine Beziehung.«
»Klar, versprochen.« Gandhi bellte, anscheinend wieder ganz der Alte.
»Frau Dr. Kyreleis, haaaalllooo?«
Carina fuhr auf und schlug sich den Kopf an der alten Röntgenlampe an. Ein Feuerwerk in ihrem Kopf. »Ja?«, krächzte sie, kletterte von Clemens und der Liege herunter, schlüpfte in ihre Sachen und hangelte sich im Dunkeln aus der Kammer. Die Situation erinnerte sie an die Szene von gestern, deren Zeugin sie geworden war. Die Neue vögelt mit dem Tierarzt, würde es heißen.
»Ist das Licht kaputt?«, fragte Dr. Herzog und wehrte den Hund ab, der an ihm hochsprang.
Carina schob die Tür hinter sich zu, Clemens rührte sich nicht.
»Entschuldigen Sie, habe ich Sie geweckt?«
Auch eine Erklärung. Carina strich sich die Haare hinters Ohr. Er sah sich in dem Arbeitsraum um, musterte die angefangene Gesichtsrekonstruktion. »Ich war schon so gespannt, nach allem, was Sie von Mexiko erzählt haben. Technik und Kunst kombiniert, großartig.«
»Die ist noch nicht fertig, Haare und Ohren, das macht viel aus, und der Ausdruck in den Augen.« Carina drehte die Skulptur, merkte, als sie sich vorbeugte, dass sie das T-S hirt links herum übergestreift hatte, mit den Nähten nach außen, wie peinlich.
Herzog schmunzelte, er dachte sich wohl seinen Teil. »Hier ist das Haarbüschel und hier das Ergebnis der DNA -Analyse.« Er zog ein kleines Luftpolsterpäckchen mit einer CD aus seiner Kitteltasche. »Haben Sie inzwischen die Gewebeprobe zum Abgleich?«
Carina unterdrückte ein Grinsen, als sie an den Friedhofsbesuch mit Clemens dachte. Er hatte ernsthaft geglaubt, dass sie sich mit bloßer Hand zu den Überresten der Toten durchgraben würde. Als ob das ginge.
»Noch nicht, aber ich arbeite daran. Sehr nett, vielen Dank.« Am liebsten hätte sie auch Dr. Herzog umarmt. Sie war glücklich wie schon lange nicht mehr. Jemand begehrte sie, jemand, der ihr sehr gut gefiel
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