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Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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Haut streicheln, von außen und von innen. Welcher Liebhaber konnte das schon? Wie sie wohl roch? Er würde ihren verstummten Mund küssen, bis die Lippen nicht mehr pochten, und ihr die Lider zudrücken, bevor ihre Augen erstarrten. Auf die Wimpern würde er diesmal besonders achten, damit sie nicht wieder ausfielen wie Spinnenbeine. Als sie aufstand, erhob er sich von den Steinstufen und folgte ihr zur Garderobe.

28.
    Feldafing, 1996
    Das Fieber war gesunken, ihr Sohn außer Lebensgefahr. Rosa bat Lou, an ihrer Stelle einen Vormittag am Bett ihres Sohnes zu wachen. Er hatte noch immer erhöhte Temperatur und zuckte im Schlaf. Sie versprach bis mittags zurück zu sein, damit Lou pünktlich im Restaurant erscheinen konnte. Der Arzt hatte Rosa versichert, dass ihr Kleiner wieder gesund würde, und sie glaubte es, sie musste es glauben, damit sie überhaupt fahren konnte. In der S-Bahn Richtung Tutzing, am Starnberger See entlang, atmete sie zum ersten Mal seit dem schrecklichen Tag an der Isar wieder durch. Mit jeder Haltestelle fiel ein Stück Anspannung von ihr ab. Es gab noch ein Leben da draußen, die Welt drehte sich weiter, ob mit oder ohne sie. Sie nickte kurz ein und hätte fast den Ausstieg verschlafen. Ländlich und verlassen wirkte der rote Backsteinbahnhof – wer vermutete hier einen ehemaligen Stasi-Agenten? Hatte es hier nicht auch diese Nazi-Eliteschule gegeben, in die Alfred Herrhausen gegangen war? Sie hatte davon in der Zeitung gelesen, eines Morgens, als sie das Besteck polierte: in einem Artikel über sein Leben. Suchte sich Felix nach der Wende deshalb gerade diesen Ort aus? Das Dorf war größer und verwinkelter, als es vom Bahnhof aus gewirkt hatte. Nachdem sie einmal im Kreis gegangen war, fragte sie eine Frau mit Kinderwagen nach der Straße, die ihr Julia genannt hatte. Die liege auf der anderen Seite der Bahnlinie, unter der Unterführung durch. Viel Zeit blieb ihr nicht, sie wollte so schnell wie möglich zurück ins Krankenhaus.
    Gegen elf brannte die Septembersonne mit ihrer übers ganze Jahr gesammelten Kraft auf den Teer, und Rosa hielt sich im Schatten der hohen Hecken, die die Villengrundstücke säumten. Trotzdem war sie verschwitzt, als sie endlich den Kiesweg zur Nr. 28 hinaufging. Noch konnte sie umkehren, das Ganze nur als Ausflug betrachten und vielleicht ein anderes Mal wiederkommen. Auf dem weitläufigen Grundstück thronte ein gedrungenes, dunkelgraues Haus, es wirkte fast wie ein Bunker. Der Himmel spiegelte sich in den kleinen Fenstern, vermutlich hatte er sie schon längst entdeckt. Wie würde er reagieren, nach all den Jahren, würde er überhaupt aufmachen? In der offenen Garage stand ein Polo. Sie wusste nicht einmal, ob Felix einen Führerschein besaß. Für einen Agenten waren das sicher Kinkerlitzchen und eine Selbstverständlichkeit. Es reizte sie, in den Wagen zu spähen, um irgendetwas Persönliches von ihm zu finden, aber vielleicht hinterließ er immer noch keine Spuren. Hatte er sein altes Leben aufgegeben und übte einen bürgerlichen Beruf aus? Sie lächelte matt bei dem Gedanken; Felix als Verkäufer oder Klempner, das konnte sie sich einfach nicht vorstellen. Dabei fiel ihr etwas ein. Vielleicht arbeitete er hier nur als Hausmeister oder Chauffeur, denn wie sonst hätte er sich so einen protzigen Kasten leisten können? Ja, das musste die Erklärung sein. Sie drückte auf die Klingel und erwartete ihren Liebsten in Butlerkleidung, eine Serviette über dem Arm.
    Rosa erschrak, als ihr eine alte Bekannte öffnete. »Was machst du denn hier?«, fragte sie.
    »Na, wohnen, was sonst«, näselte Julia im offenen Seidenmantel, darunter trug sie nur einen schwarzen Slip. Ihre Augen waren grell umrandet, nur ihre Nase war frei von Make-up und leuchtete rot.
    »Dass du kommst, wusste ich ja.« Hastig riss sie ein Tempo aus ihrer Manteltasche und nieste hinein. »Aber ich dachte nicht, dass du gleich herfährst, ausgerechnet heute, wo ich krankgeschrieben bin. Er ist nicht da, tut mir leid.«
    Was, wie – Rosa verstand nicht.
    »Willst du so lange warten oder hast du Angst vor Ansteckung? Ich weiß nicht, wann er zurückkommt, in einer Stunde vielleicht. Aber ich kann ihn anrufen, warte.« Sie stieß die Tür auf und drehte sich mit weitschwingendem Mantel auf den hohen Pantoffelabsätzen ins Hausinnere.
    »Dann wohnt er auch hier, mit … mit dir?«, brachte Rosa endlich hervor.
    »Ja, wir sind ein Paar. Sag bloß, das wusstest du nicht? Seinen Eltern gehörte das

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