Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen
kriegen. Wenigstens hat dann die Geheimniskrämerei ein Ende.«
»Dann weiß niemand, dass ihr zusammen seid?« Wie verkraftete diese Angeberin es bloß, diesen ganzen Prunk hier keinem zeigen zu können?
»Die in der Arbeit finden das ganz spannend, löchern mich ständig, mit wem ich liiert bin, glauben, es wäre ein ganz hohes Tier. Wir treffen uns auch nur am Wochenende hier, ich habe ja mein Apartment in der Stadt.«
Diese unscheinbare Maus, die im Hintergrund wirkte, sollte Felix’ langjährige Geliebte sein? Also war er, gleich nachdem Rosa ihm von der Schwangerschaft erzählt hatte, zu ihr gegangen. Die ganze Zeit war er schon mit Julia zusammen, nachher und vorher, vermutlich auch in Gedanken, wenn sie sich liebten. Rosa war lediglich Mittel zum Zweck gewesen, genauso wie es die Staatssicherheit der DDR geplant hatte, ein westdeutsches Liebchen zum Ausquetschen. Sie umklammerte das Teeglas wie einen Rettungsring. »Was macht er? Ich meine beruflich?« Julia würde ihr vermutlich nicht die Wahrheit sagen. Aber versuchen konnte sie es.
»Er ist beim Bundeskriminalamt, eine ewige Fahrerei ist das zwar von Wiesbaden hierher, dafür sind wir dann ungestört, wenn du verstehst, was ich meine. Bei seinen Fähigkeiten haben die ihn mit Handkuss genommen.« Sie kicherte. »Seinen Ermittlerfähigkeiten natürlich.« Julia sagte das so, als sei es eine Selbstverständlichkeit, dass Ostspione nach der Wende zum BKA wechselten. Ob es stimmte, was sie da von sich gab? An der Tür hatte Rosa keinen Namen gesehen – und das Foto hier, was bewies das schon? Es war Felix, unleugbar, aber sie mussten kein Paar sein. Vielleicht hatte Julia die Aufnahmen heimlich gemacht; so wie sie Rosa damals nacheiferte, aussehen wollte wie sie, sogar ihren Gang nachäffte, hatte sie vielleicht auch Felix aufgelauert, als er mit seinem Freund eine Bootstour machte. Zunächst einmal waren das nur Behauptungen, die bewiesen gar nichts; daran klammerte sie sich. »Du hast also auch für die Stasi spioniert?«
»Nein, mein Auftrag war es, dich mit ihnen zusammenzubringen, weiter nichts.« Julia schlürfte ihren Tee. Was faselte sie da? Ihre ganze aufdringliche Art sollte von der Stasi inszeniert worden sein, nur damit man sie, die kleine Tippse, die Chefsekretärin des Staatssekretärs als Agentin gewann?
»Du glaubst mir nicht?« Julia zog eine Flasche Rum aus dem Zeitungsständer und kippte sich einen Schuss in den Pfefferminztee. »Die fiesen Zettel in deinem Büro, die haben wir uns gemeinsam ausgedacht. Ich mag ja solche Fäkalworte nicht, aber bei dir schienen sie mir angemessen. Kösterschlampe, Staatslutsche, Aufwärtsfickerin .« Sie schnäuzte sich wieder.
Unwirklich fühlte sich das alles an, irreal. Plötzlich wurde Rosa alles zu viel. »Felix und ich haben ein Kind zusammen«, begann sie und wartete bis es bei Julia einsickerte.
»Felix?« Sie tat so, als hörte sie den Namen zum ersten Mal, wischte sich die Nase und schluckte ihren Tee wie Wasser. Rosa wühlte in ihrer Handtasche, suchte das Foto ihres Sohnes, fand es in der Aufregung nicht gleich, leerte den gesamten Tascheninhalt aufs Sofa. Da war es, sie streckte es ihr hin. »Einen Jungen, sieben Jahre ist er inzwischen.«
Julia beachtete das Foto nicht, stellte die Tasse ab und starrte Rosa unter getuschten Wimpern an. Ihr eines Auge flackerte, als wäre ihr etwas hineingeflogen. Dann goss sie sich noch etwas Rum ein und trank. »Ja, daran arbeiten wir noch. Ich wollte meine neue Position nicht gleich wieder aufgeben. Bei den heutigen Möglichkeiten der Kinderbetreuung könnte ich zwar sofort weiterarbeiten, doch so eine Schwangerschaft geht nicht spurlos an einem vorüber wie man an dir sieht und … «
Viele Jahre später sah Rosa immer noch, wie sie in Zeitlupe ihr Glas hob, es in der Hand drehte und wie sie dann mit voller Wucht ausholte und es auf Julia niedersausen ließ. In Sekunden kippte Julia zur Seite. Das Glas blieb unversehrt. Braune Brühe, Eistee mit Blut vermischt, färbte die Couch. Rosa überlegte, dass sie weiteres Eis aus der Maschine zum Kühlen brauchen würden, sobald Julia sich wieder aufrichtete und über Kopfschmerzen klagte. Winzige, abgerundete Eiswürfel waren wie Hagelkörner auf ihre Füße gestreut. Mit offenen Augen lag sie, eine Brust entblößt, leicht verdreht in den Polstern. Rosa zog ihr den Seidenmantel zu, band ihr den Gürtel und bedeckte sie. Mit ihrer Erkältung holte sie sich sonst noch den Tod. Dann setzte Rosa sich neben
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