Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen
Objekt. Wie findest du’s?« Julia schwenkte die Arme wie eine Königin, die einem Untertan den Palast zeigt. Rosa folgte ihr und kam sich in ihrem zerknitterten geblümten Rock und den flachen Schuhen wie ein Bauerntrampel vor.
»Mir ist es ein bisschen zu düster, aber er weigert sich, die Fenster vergrößern zu lassen. Das Haus stammt noch von der Jahrhundertwende. Irgendein Schriftsteller, ein Freund von Thomas Mann, soll hier seinen Sommersitz gehabt haben, aber frag nicht, welcher, ich lese nicht gern.«
Rosa tappte ihr hinterher, ganz benommen von dem, was sie hörte. Ein Paar, hallte es in ihrem Kopf. Er war mit ihrer Rivalin zusammen, der Person, die ihr bis zur Frisur nachgeeifert, die ihre Stelle beim Staatssekretär übernommen hatte. Eine Brille trug sie nicht mehr, also war das doch nur Show gewesen – oder hatte sie Kontaktlinsen?
Tatsächlich, das Haus sperrte das Sonnenlicht aus, überall brannten Lampen, erhellten die hohen dunkelgebeizten Decken und schmalen Gänge. Spärlich möbliert war alles. Die Formen erinnerten Rosa an vergrößerte Bauklötze, funktional, aber bestimmt unbequem. Julia telefonierte von einem Apparat aus, bei dem die Wähltasten in den Hörer integriert waren. Rosa hätte ihn ihr bloß vom Ohr wegreißen müssen, um sofort mit Felix zu sprechen. Doch sie war wie gelähmt. Wie lange wohnten sie schon hier? War Rosa etwa nur ein Seitensprung gewesen oder hatte Felix sie für Julia verlassen? Hatten sie Kinder? Spielzeug lag nirgends herum, auch hing nirgendwo Kindergekrakel an der Wand.
Julia beendete das Telefonat. »Magst du einen Pfefferminztee oder lieber Eistee?« Es fehlte nur noch, dass sie in die Hände klatschte und eine Dienerin die Bestellung aufnahm. Doch sie schienen allein zu sein. Rosa folgte ihr in die großzügig geschnittene Küche; die Strecke zwischen Kühlschrank und Ofen eignete sich zum Rollschuhfahren.
»Meine Haushaltshilfe ist ebenfalls krank, ausgerechnet heute, wo es mir so schlechtgeht.«
Sie übertrieb, ein Schnupfen, weiter nichts, dachte Rosa. Eine Schwerkranke wäre kaum fähig gewesen, sich so perfekt zu schminken und so leicht bekleidet herumzutänzeln.
»Mandy kommt aus dem Osten, sie ist gerade neunzehn geworden und freut sich über den gut bezahlten Job hier«, redete Julia weiter, öffnete mehrere Schranktüren auf der Suche nach einem Trinkgefäß und fand schließlich ein großes, schweres Halbliterglas, das sie mit Fertigtee aus der Packung und Eiswürfeln aus einer Maschine füllte. Sich selbst goss sie heißes Wasser aus einem Kocher in eine Tasse, hängte einen Teebeutel hinein und forderte Rosa auf, in der abgesenkten Sitzgruppe Platz zu nehmen.
Ein Silberrahmen stand in der Sofaecke. Rosa setzte sich und wagte es kaum, hinzusehen, aus Angst, ein Kleinkind auf dem Schwarz-Weiß-Foto zu erblicken. Beiläufig schielte sie hinüber. Felix von der Seite, ein Schattenriss im Gegenlicht auf einem Segelboot, vermutlich auf dem Starnberger See. Sein ebenmäßiges Profil hätte Rosa überall wiedererkannt. Neben ihm, deutlich erkennbar, befand sich ein anderer Mann, dessen auffälliges Mal sich auf dem Schwarz-Weiß-Bild in dunklerem Grau von seiner übrigen Haut abhob. »Wie lange kennt ihr euch schon?«, fragte Rosa und nippte an ihrem Getränk, das angenehm kühlte. Hier hockte sie nun neben ihrer Nachfolgerin in beruflicher, sexueller und seelischer Hinsicht; diese Streberin, diese Möchtegern-Rosa hatte ihr den Liebsten weggeschnappt.
Julia zog die nackten Füße aus den Pantoffeln, knetete ihre lackierten Zehen und störte sich nicht daran, ihre Brüste fast ganz zu entblößen. Sie plauderte drauflos, als wären sie beste Freundinnen. »Als wir uns mit ihnen im Lehmann’s trafen, du weißt schon, an dem Abend, als du dich endlich herabgelassen hast, mit mir auszugehen, da waren wir seit drei Monaten zusammen.« Sie wischte sich die laufende Nase. »Für uns war es ein Spaß, vor dir so zu tun, als hätten wir uns noch nie gesehen. Und für mich steckte, ehrlich gesagt, auch ein bisschen Genugtuung darin, dir deine Herablassung heimzuzahlen.«
»Warum hast du dann am Telefon so getan, als wüsstest du nicht, wen ich meine?«
Julia lachte, nieste wieder, schnäuzte sich erneut. »Du hast es mir auch nicht leichtgemacht, erinnerst du dich? Na ja, Schwamm drüber.« Sie klatschte in die Hände. »Magst du unsere Trauzeugin werden? Nächsten Mai wollen wir auf Neuschwanstein heiraten. Es ist total schwer, da einen Termin zu
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