Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen
Täter mehrmals angesetzt. Habt ihr ein Tatwerkzeug gefunden? Ein Brotmesser zum Beispiel.«
Matte verneinte. »Nur Plastikbesteck in einer Mülltonne, aber mit dem dürfte so was kaum funktionieren. Bloß wer läuft mit einem Brotmesser durch die Gegend?«
»Dann eben ein Taschenmesser, haben die meisten nicht eine kleine Säge dabei? Alles hinterlässt Spuren auf den Knochen. So wie man die Gewebedicke aus der Schädelform ableiten kann, sieht man auch verheilte und frische Abschürfungen. Diese Kieferspuren könnten von einem Unfall herrühren oder von einer zahnmedizinischen Operation, aber auch von einer neueren Verletzung, einem Werkzeug mit Zacken.«
»Du meinst, du kannst alles ablesen, ich hätte nämlich gedacht, das Röntgenbild selbst ist einfach verkratzt – aber das geht ja gar nicht mehr bei der heutigen Technik.«
Na gut, dachte Carina. Der Beifall reichte für die nächsten paar Jahre. Dann würde sie eben alleine essen. Sie griff nach ihrer Tasche, die Fotos flatterten vom Schreibtisch. Als sie sie vom Boden aufsammelte und in den Umschlag zurückstecken wollte, fiel ihr der Ring auf, den Marie auf dem Schnappschuss mit Selbstauslöser getragen hatte. »Eva Bretschneider hat auch so einen, sie sagt, ihr Verlobter hätte ihn ihr geschenkt.«
»Frau Bretschneider ist verlobt?« Matte horchte auf. »Davon weiß ich nichts.« Er betrachtete das Bild. »Wir haben keinen Ring auf dem Spielplatz gefunden. Die rechte Hand, die man auf dem Foto sieht, hat gefehlt.«
»Ist vielleicht nur irgendein Modeschmuck, den man an jeder Ecke kriegt.« Ihr fiel etwas ein. »Gab es eigentlich vor Eva Bretschneider schon mal eine Gesichtsverstümmelung?«
»Du glaubst, Maries Mörder hat ihr das Gesicht abgezogen, und die beiden Fälle hängen irgendwie zusammen?« Er lehnte sich zurück, verschränkte die Arme hinterm Kopf und schlug die Beine übereinander. »Beim zweiten Mord werden die Täter meistens besser, nicht schlechter. Und Eva Bretschneider hat überlebt, dank dir.«
»Wer hat eigentlich die Polizei verständigt? Habt ihr diese Person schon vernommen?«
»Ja, Frau Kriminalkommissarin«, flachste er. »Auch wir machen unsere Arbeit.«
»Vielleicht wurde der Täter gestört. Oder glaubst du, er hat noch geübt? Und erst beim nächsten Opfer gelingt es ihm, das Gesicht ganz zu entfernen?« Carina verglich in Gedanken Eva Bretschneiders Gesichtswunde mit Maries Kiefer voller Kerben von Schneidversuchen.
»Ich hoffe nicht.« Matte seufzte.
»Was für eine Erklärung hast du dann für die Tat, nachdem es Gandhi nicht war?«
»Ach, Frau Bretschneiders Hund heißt so?« Er lachte auf. »Jetzt verstehe ich deine SMS . Testergebnis: Freispruch für Gandhi. Solchen Rätseln bin ich in meinem Alter kaum noch gewachsen.«
Aber er war zu stolz gewesen, um nachzufragen, dachte Carina. »Maries Gesicht ist verwest, weil es nicht in Folie verpackt war wie der übrige Körper. Die Folie am Halsrand wurde gleichmäßig abgeschnitten. Vielleicht hat er das Gesicht erst später entfernt.«
»Wie viel später, gleich nach ihrem letzten Atemzug oder Tage, Wochen später, was denkst du?«
»Ich denke, er hat sie erst mal weggebracht und die Spuren beseitigt, dann ist er nochmal zu der Stelle … «
»Du meinst, er hat die Tote wieder ausgegraben, um ihr die Haut abzuziehen? Wozu? Und vor allem: auf einem öffentlichen Spielplatz mitten in der Innenstadt?« Matte schüttelte den Kopf.
»Das Motiv zu finden ist deine Aufgabe, ich stelle keine Vermutungen an.« Sie zwang sich, ernst zu bleiben, als sie Feiningers Rüge nachplapperte. »Aber auf Röntgenbildern von Eva Bretschneider könnte ich erkennen, ob sie ähnliche Zickzackrillen am Kiefer hat.«
»Mein Totenvogel.« Matte grinste über beide Ohren. »Wieso kommst du nicht zu uns ins K 11, wenn du so gern ermittelst.«
In Carina begann es zu grollen. »Ich ermittle nicht. Aber du hast gefragt, und ich antworte.« Sie funkelte ihn an.
»Wir finden bestimmt bei uns eine Nische, wo du Gesichtsmasken Glanz einhauchen kannst, versprochen.«
»Deine Technik besteht darin, zu schweigen, bis deine Zeugen reden. Bei mir ist es umgekehrt. Durch mich sprechen die Opfer. Und außerdem sind mir deine Fußstapfen zu ausgelatscht, ich mag meinen Keller hier.« Sie hockte sich auf die Schreibtischkante und atmete langsam aus. Also gut, dann musste es eben jetzt sein. Es war offenbar leichter, trauernden Eltern ihr totes Kind zu zeigen, als sture Väter zurechtzuweisen. »In
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