Die Gesichtslosen
nickte.
«Also, worauf wartest du?»
Keine Antwort.
«Was ist los?»
Keine Antwort.
«Hast du etwas gegessen? Hast du vielleicht Hunger?»
Er nickte.
Kabria kicherte. «Ich nehme nicht an, du erwartest von mir, daß ich dir Geld für Essen gebe, oder?»
Er senkte den Kopf und bohrte seinen Zeh in den Boden.
«Du hast versucht, meine Geldbörse zu stehlen. Ich habe dich da rausgehauen. Und jetzt soll ich dich auch noch füttern.»
Der Junge malte weiter mit dem Zeh im Sand herum. Kabria holte murrend einen Schein aus ihrer Börse. Er nahm ihn, starrte ihn an, murmelte ein Dankeschön und blieb stehen.
«Was noch?»
Er sagte nichts.
Kabria sah auf die Uhr. «Hör mal», sagte sie streng. «Ich muß gehen.»
Er nickte.
Kabria verzweifelte allmählich. Sie öffnete die Geldbörse, nahm einen weiteren Tausend-Cedi-Schein heraus und reichte ihn dem Jungen. Schnell nahm er ihn an sich.
«Du bist ein ziemlich teurer Dieb, junger Mann, das muß ich schon sagen. Ich, dein Opfer, das dich freigekauft hat, muß dich also jetzt auch noch versorgen?» Sie bestieg Creamy und drehte den Zündschlüssel um. Doch Creamy reagierte nicht. Kabria blickte in den Rückspiegel. Der Junge stand noch genauso da. Er schob die Mütze zurück. Kabria holte tief Luft und drehte den Schlüssel wieder zurück. Sie nahm den Jungen noch einmal genauer in Augenschein und stieg wieder aus. Ungepflegt und dreckig war das Gesicht, in das sie blickte, aber es war attraktiv, ja geradezu hübsch.
«Hey!» rief Kabria aus.
Hübsches-Gesicht lächelte schüchtern. «Ich bin ein Mädchen», sagte es.
«Ein Mädchen, das sich als Junge verkleidet, um meine Geldbörse zu stehlen? Hast du auch einen Namen?»
«Ja. Fofo.»
«Fofo?» Kabria zwickte sich in den Arm. Doch, doch, der Schmerz, den sie fühlte, war echt, also war das alles hier auch wahr und geschah tatsächlich. «Hör mal», brachte sie schließlich heraus. «Das kommt alles ein bißchen unerwartet und ist ein bißchen viel auf einmal. Ich weiß nicht genau, was ich mit dir machen soll oder was du dir vorstellst, was ich mit dir…»
«Die Regierung», unterbrach das Mädchen sie.
Kabria zog die Augenbrauen hoch. Sie glaubte, sie habe nicht richtig gehört. «Was hast du gesagt?»
«Ich sagte, die Regierung. Ich brauche die Regierung.»
Kabria mußte laut lachen. Sie lachte, bis ihr die Tränen kamen, und dann lachte sie weiter. «Du willst die Regierung, den Staat?»
Fofo gab keine Antwort. Sie schien verletzt.
Zwei Worte fielen Kabria ein. Verrückt! Abhauen! «Weißt du», sagte sie, «ich muß zurück zu meiner Arbeit, und ich habe auch noch andere Verpflichtungen. Wohnst du hier in der Nähe?»
Fofo nickte.
«Gut. Hör zu. Vielleicht komme ich morgen wieder auf den Markt. Falls ja, parke ich mein Auto an genau derselben Stelle. Wenn du willst, kannst du mich am Vormittag hier treffen. Ist das in Ordnung?»
Fofo nickte wieder.
Kabria überkamen augenblicklich Schuldgefühle. Sie hatte überhaupt nicht die Absicht, morgen wieder hierher zu kommen. Sie hatte das nur gesagt, um wegzukommen. Für Fofo aber schien der Vorschlag ein Hoffnungsschimmer zu sein. Sie wirkte beinahe erleichtert. Kabria bemerkte das wohl, als sie Creamy erneut bestieg. «Der liebe Gott wird mir doch diese kleine Notlüge verzeihen können, oder?» versuchte sie sich zu trösten. Sie drehte den Zündschlüssel um. Creamy wimmerte. Sie setzte den Fuß auf die Kupplung und legte den Leerlauf ein. Fofos Gesicht verdüsterte sich. Kabria fragte sich, ob sie ihre Lüge durchschaut hatte und löste die Handbremse. Creamy rollte den Hang hinunter. Fofo lief neben ihr her. Kabria trat auf das Gaspedal und drehte den Zündschlüssel um. Creamy kam stotternd in Fahrt. Fofo rannte schneller und rief noch ein paar Worte, die der Wind davontrug.
«Was hast du gesagt?» schrie Kabria.
«Ich sagte, das Mädchen, das dort gefunden wurde, war meine Schwester!»
Kabria war selten ihrem Herrgott so dankbar gewesen, daß sie bereits im Auto saß und davonrollte. «Bizarr», dachte sie. «Das ist vielleicht ein verstörtes Ding.» Sie drückte aufs Gas. Creamy stotterte und hustete. Sie rollte weiter den Berg hinunter. Kabria schaute in den Rückspiegel. Fofo stand immer noch da und blickte hinter Creamy her. Sie winkte. Und weinte.
Im Büro sprudelte die abenteuerliche Geschichte nur so aus ihr heraus. Alle hörten staunend zu. Schließlich rief Vickie nur: «Wow!» Aggie seufzte schwer. Dina fragte sich laut,
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