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Die Gesichtslosen

Die Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amma Darko
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Christus!» murmelte eine zweite Frau. «Wie kann ein solcher Mensch zu ewiger Ruhe und ewigem Frieden finden? Ich habe gehört, sie werden einfach in Wawa-Särge gesteckt und wie die Sardinen auf die Lastwägen…»
    «Weg, weg da! Aus dem Weg!» vernahm Kabria eine Stimme hinter ihr.
    Kabria trat einfach zur Seite, um Platz zu machen. Doch gleich darauf folgte sie ihrem Instinkt und drehte sich um. Ihr Blick fiel direkt auf einen Jungen im Alter von etwa vierzehn Jahren. Der wirkte furchtbar nervös. Irgend etwas stimmte nicht mit ihm. Seltsam, wie er sie anschaute unter der zerknitterten Baseballkappe. Ihre Blicke trafen sich für einen kurzen Moment. Dann rief er erneut: «Aus dem Weg!» es klang noch dringlicher. Er schien es sehr eilig zu haben. Plötzlich schrie eine Frau:
    «Haltet ihn! Laßt ihn nicht durch! Er hat eine Geldbörse gestohlen!»
    Nervöse Hände faßten in Taschen und Tüten. Die Verfolgung wurde aufgenommen. Auch Kabria durchsuchte ihre Einkaufstüte. Als sie wieder aufblickte, waren alle Augen auf sie gerichtet. Sie war die einzige, die noch suchte. Sie bekam weiche Knie. Plötzlich ging ein Schrei durch die Menge. «Sie haben ihn!» Er wurde zurückgezerrt. Kabria blieb wie angewurzelt stehen. Man gab ihr die Geldbörse zurück. Die Menge war inzwischen gewachsen, das Bedürfnis, den Jungen «Geschichte werden zu lassen», ebenso. Von irgendwoher tauchte eine Hand auf und verpaßte ihm eine Ohrfeige. Der Junge schrie auf. Kabrias Magen zog sich zusammen. Ein Mann suchte nach einem Stock. «Ich werde ihn durchprügeln, bis er die Engel singen hört!» drohte er. Die Menge schwoll weiter an, die Erregung gleichermaßen. Wenn dem Jungen etwas zustieß, hatte sie ihn auf dem Gewissen, schoß es Kabria durch den Kopf. Die Zeit raste. Es hätte ihr Sohn sein können. Er war ungefähr in Obeas Alter. Er sollte um diese Zeit in der Schule sein und etwas lernen. Er sollte seine Mutter in Aufregung versetzen mit Schulheften, in denen irgendwelche Sexualaufklärungs-Broschüren versteckt waren und sich darüber beklagen, wie peinlich seine Mutter mit ihrem alten Auto war. Anstatt hier die Taschen von Passanten zu leeren.
    «Akwei! Akwei! Du bist das!» schrie Kabria hinein in den Tumult. «Mein Gott! Akwei. Du bist es tatsächlich! Kennst du mich nicht mehr? Ich bin’s. Deine Tante Tsoo. Erinnerst du dich? He?» Sie bahnte sich einen Weg zu dem Jungen, der scheinbar am liebsten im Erdboden versinken wollte.
    «Lassen Sie ihn in Ruhe!» schrie Kabria. «Ich bitte Sie, überlassen Sie ihn mir. Ich kenne ihn. Ich kenne ihn.»
    Der Junge fing an zu schluchzen. Der Mann, der ihn am Arm festhielt, schüttelte ihn. «Sie wollen, daß wir einen Dieb ziehen lassen?» Er blickte Kabria zweifelnd an.
    «Nein», rief Kabria. «Überlassen Sie ihn mir. Bitte.»
    Der Mann musterte sie von oben bis unten. Er schien nicht sehr angetan von der Idee. Die Menge gaffte erwartungsvoll. Kabria verließ sich wieder auf ihren Instinkt. Sie öffnete ihre Geldbörse, entnahm ein paar Scheine und hielt sie dem Mann hin. «Bitte», bat sie. «Lassen Sie ihn los.»
    Der Mann starrte die Geldscheine an, riß sie an sich und fuhr den Jungen an: «Da hast du ja noch mal Glück gehabt!» Er ließ den Arm los und gab ihm ein paar Kopfnüsse mit auf den Weg. Der Junge schluchzte heftig.
    «Danke. Vielen Dank», flüsterte Kabria. Sie zitterte wie Espenlaub, ergriff die Hand des Jungen und eilte mit ihm durch die Menge davon. Sie spürte die verblüfften Blicke, die ihnen folgten, wie einen Mühlstein um den Hals. «Beeil dich, bevor jemand noch auf andere Gedanken kommt», zischte sie dem Jungen zu.
    Eine Krabbenverkäuferin rief: «Diese Diebe! Ich weiß nicht, ob sie schon als schlechte Menschen auf die Welt gekommen sind oder ob sie dazu gemacht wurden. Egal, was man mit ihnen macht, wenn sie sich einmal vorgenommen haben zu stehlen, dann tun sie es. Wasche und stärke sie, trockne sie und bügle sie, egal was, sie werden stehlen. Tss.»
    Sie befanden sich noch immer auf feindlichem Gebiet. «Beeil dich!» befahl Kabria. Der Junge schnappte sich Kabrias Tomatentüte, ergriff Kabrias Hand und lächelte sie an. Schweigend setzten sie so ihren Weg fort, bis sie bei Creamy ankamen. Sie nahm ihm die Tüte mit den Tomaten ab: «Jetzt bist du sicher. Ab mit dir.»
    Sie erwartete, daß er sich bei ihr bedanken, auf dem Absatz kehrt machen und losrennen würde. Doch er blieb einfach stehen.
    «Hast du gehört, was ich gesagt habe?»
    Er

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