Die Gesichtslosen
wo das alles noch hinführen sollte. Und Kabria konnte den Anblick von Fofo, wie sie dastand und winkte, nicht vergessen. «Erst heute morgen habe ich auf Harvest FM eine Sendung über das Thema HIV und Straßenkinder gehört. Und prompt passiert mir das. Nach dem, was ich am Markt so mitbekommen habe, handelt es sich bei dem Mädchen, von dem Fofo behauptet, es sei ihre Schwester, um eine Prostituierte.»
Dinas kreatives Gehirn arbeitete schon wieder fieberhaft. «Irgendwo gibt es da möglicherweise Zusammenhänge», meinte sie nachdenklich. «Und du sagst, auf Harvest FM haben sie heute etwas über Aids und Straßenkinder gebracht?»
«Ja.»
«Sollten wir nicht mit denen reden?»
«Worüber?» fragte Aggie.
«Ich bin mir noch nicht ganz sicher. Aber ich habe da so ein Gefühl. Und wenn wir unseren Teil dazu beitragen und mehr über das Mädchen in Erfahrung bringen, dann können wir Harvest FM davon überzeugen, eine Sendung über sie zu machen. Das könnte auch für uns nützlich sein.»
Kabria war alles andere als begeistert. «Könnte das zufällig bedeuten, daß jemand ein Versprechen halten wird und morgen da wieder hingeht?»
«Ich spreche erstmal mit Harvest FM», erbot sich Dina und ging in ihr Büro, um dort anzurufen.
«Meint ihr, die machen das?» wollte Aggie von den anderen wissen.
Vickie überlegte kurz und sagte: «Wer weiß? Es ist ein authentischer Fall. Es könnten ein paar drängende Fragen beantwortet werden. Zum Beispiel, warum sie auf der Straße lebt. Hinter jedem einzelnen Kind da draußen verbirgt sich eine Geschichte.»
«Und außerdem – wieviele männliche Straßendiebe sind in Wirklichkeit Mädchen?» fragte Kabria. «Das wäre doch mal interessant herauszufinden.»
«Und was ist mit der Vermutung, daß viele Straßenmädchen in Accra aus dem Norden kommen, auf der Suche nach grüneren Weiden, indem sie als Kayayoos arbeiten?» fragte Vickie. «Der Name Fofo klingt nicht so, als käme sie aus dem Norden.»
«Kommt sie auch nicht», erwiderte Kabria. «Sie ist Ga.»
«Tatsächlich sind viele von ihnen aus dem Süden», warf Aggie ein. «Das gilt nur für Sodom und Gomorrha, dort gibt es eine Häufung von diesen Mädchen aus dem Norden, aber selbst da sind auch genug aus dem Süden darunter. Mädchen und Jungen, die nicht unbedingt Waisenkinder sind, sondern von denen ein Elternteil oder sogar beide in Accra leben.»
«Warum nur?» klagte Vickie. «Warum sollte jemand, der in Accra lebt und ein Dach über dem Kopf hat, seine oder ihre Kinder auf die Straße schicken?»
Dina, die alles mitgehört hatte, bemerkte: «Das ist eine Frage, die uns Fofos Geschichte vielleicht beantworten kann. Mädels! Ihr werdet nicht glauben, was ich gerade von Harvest FM erfahren habe. Der Produzent von Sylv Pos ‹Guten-Morgen-Ghana-Show› sagt, entweder hat Fofo Kabria angelogen oder irgend etwas anderes stimmt nicht. Offensichtlich war es Sylv Po, der die Polizei auf den Leichnam des Mädchens aufmerksam gemacht hat. Er berichtete darüber in seiner Show, und gleich danach hat jemand im Studio angerufen. Hat eine von euch das zufällig gehört?»
Alle drei schüttelten den Kopf.
«Nun», fuhr Dina fort, «die FM-Radiosender werden ständig von solchen Anrufen bombardiert, nicht wahr? Aber hört euch das an. Drei Tage später, also vergangenen Donnerstag, rief wieder jemand bei Harvest FM an, um, wie sie es nannte, Informationen zu liefern über das tote Mädchen. Fofos angebliche Schwester. Und die Anruferin sagte, der Name des toten Mädchens sei Fati, und es komme aus dem Norden.»
«Fati?» riefen alle drei gleichzeitig.
«Ja. Und daß ihr Tod die Strafe sei für irgend etwas, das sie getan habe. Daß sie sterben mußte, weil sie ihren Mann verlassen hatte. Es sei ein alter Mann gewesen. Ein Freund ihres Vaters, dem sie bereits wenige Tage nach der Geburt versprochen worden war. Und der sich ganz der Tradition gemäß von klein auf um sie gekümmert und sämtliche Kosten für sie übernommen habe, bis zur Pubertät, und nach ihrer ersten Menstruation vollzog er das letzte Hochzeitsritual und nahm sie auch formal zur Frau.»
«Fati?» Für Kabria ergab das alles nach wie vor keinen Sinn.
«Das hat jedenfalls die Anruferin erklärt», beharrte Dina.
«Na ja», Kabria schüttelte den Kopf. «Ich habe Fofo gesehen und mit ihr gesprochen. Und ich bin mir ganz sicher, daß sie Ga ist, wie ich schon sagte, Ga durch und durch.»
«Oder sie und ihre tote Schwester haben verschiedene
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