Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gesichtslosen

Die Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amma Darko
Vom Netzwerk:
geschweige denn, sie hereingebeten. Eilig schob er die vor ihm ausgebreiteten Lottozettel zusammen. Er warf den beiden einen vernichtenden Blick zu und bellte: «Ja?»
    Er hörte ihnen in feindseligem Schweigen zu, dann machte er eine Handbewegung und murmelte: «Setzen Sie sich.»
    Sie musterten verwirrt den einzigen Stuhl im Raum und tauschten fragende Blicke aus. Der Inspektor beabsichtigte offensichtlich nicht, ihnen einen zweiten anzubieten, also arrangierten sie sich. Vickie bestand darauf, daß Kabria sich setzte.
    «Ja?» dröhnte der Inspektor wieder. Es schien ihm Spaß zu bereiten.
    «Wie wir ihrem Kollegen schon sagten», erklärte Kabria, «haben wir von unserer Organisation den Auftrag, herauszufinden, was es mit dem toten Mädchen auf sich hat.»
    «Leichen werden an allen möglichen Orten zu allen möglichen Zeiten gefunden», gab er zurück.
    «Wir interessieren uns speziell für diese», sagte Vickie bestimmt.
    Der Inspektor lächelte Vickie schief an, räusperte sich, warf einen Blick auf Kabria und zischte: «Wir arbeiten daran.»
    «Sie meinen, Sie ermitteln noch?» insistierte Kabria.
    Das Gesicht des Inspektors verdüsterte sich. «Wer, sagten Sie, hat Sie beauftragt, hierher zu kommen?»
    «MUTE heißt unsere Organisation», antwortete Kabria. «Wir sind hier, um Informationen zusammenzutragen für unsere Organisation.»
    «Dabei arbeiten wir mit Harvest FM zusammen», fügte Vickie listig hinzu.
    Der Inspektor richtete sich auf. «Der FM-Sender? Hören Sie!» schlug er einen etwas kooperativeren Ton an. «Erst diese Woche haben wir eine Kopie des Obduktionsberichts bekommen. Er wurde zu den Akten gelegt.»
    «Ist das das übliche Vorgehen?» wollte Vickie wissen.
    «Routine, ja.»
    «Und bedeutet ‹zu den Akten gelegt› soviel wie ‹vorerst auf die lange Bank geschoben›?» fragte Kabria vorsichtig.
    «Nun ja», der Inspektor rutschte auf seinem Sitz hin und her. «Wenn natürlich ein Hinweis kommt, der weitere Maßnahmen erforderlich…»
    «Weil es sich vermutlich um ein Straßenmädchen handelt?»
    Jetzt riß dem Inspektor der Geduldsfaden. «Hören Sie!» brüllte er, Radio hin oder her. «Sie glauben, Sie können hierher kommen und mir erzählen, wie ich meinen Job zu erledigen habe? Haben Sie auch nur annähernd eine Vorstellung davon, was hier los ist? Wir tun unser Bestes im Rahmen unserer Möglichkeiten. Und die Möglichkeiten, die wir hier haben sind weniger als das Minimum. Das sehen Sie doch wohl selbst. Also kommen Sie nicht her und erzählen mir…»
    «Sir», unterbrach Vickie. «Haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, wieviele Menschenleben davon betroffen sind, daß Sie dazu gezwungen sind, die Fälle zu den Akten zu legen wegen fehlender Ressourcen?»
    Dem Inspektor entging Vickies sarkastischer Unterton nicht. Er sah ihr ins Gesicht und sagte gereizt: «Madam, ich weiß schon, aus welcher Ecke Sie kommen.» Er erhob sich schwerfällig aus seinem Sitz, dabei stieß er mit dem Bauch an die Tischkante, mit einem enorm dicken Bauch übrigens, der vorher hinter dem Tisch verborgen gewesen war. «Glauben Sie, wir sind hier aus Holz?» bellte er und befahl: «Drehen Sie sich um!» Vickie und Kabria gehorchten nicht sofort, und er brüllte noch einmal: «Ich sagte, drehen Sie sich um!»
    Verwirrt folgten sie dem Befehl. Plötzlich stand der Polizist neben ihnen. «Und jetzt sehen Sie sich um! Werfen Sie Ihren Blick in diese Ecke dort drüben! Sehen Sie diesen Aktenschrank da? Dort werden vertrauliche Berichte aufbewahrt. Und jetzt sagen Sie mir, was Sie sehen.»
    Vickie und Kabria starrten verstört auf den Schrank.
    «Sehen Sie ihn sich genau an! Schauen Sie hin und sagen Sie mir, was Sie sehen. Und denken Sie nach.»
    Jetzt begriffen sie, worauf er hinaus wollte. Eine Schublade war so verbogen, daß sie nicht mehr zu schließen war. Bei einer anderen fehlte der Griff. Und bei der dritten klaffte ein tiefes Loch, wo eigentlich das Schloß hätte sein sollen.
    «Ich arbeite nun schon eine ganze Weile hier», fuhr er fort. «Eines Tages traf ich den Inspektor, der zehn Jahre zuvor auf diesem Posten war. Und wissen Sie, was er mich als erstes gefragt hat? Ob der Aktenschrank inzwischen repariert sei. Und jetzt zu den anderen Möbeln. Konnte ich Ihnen zwei Stühle anbieten, als Sie hereinkamen? Kommen Sie? Haben Sie meinen Stuhl schon gesehen? Und meinen Schreibtisch?»
    Der Tisch war alt, an den Ecken abgestoßen und völlig verkratzt. Der Lederbezug des Stuhls war

Weitere Kostenlose Bücher