Die Gesichtslosen
Frauen in ihren Köpfen horteten. So ist MUTE entstanden. Aber heute hat Fofo uns vor eine neue Herausforderung gestellt. Wir haben uns ihrer angenommen, und das hat uns an einen Scheideweg geführt. Wir haben sie in unsere Obhut genommen, und wir können sie nicht einfach zu einem weiteren Fall für unsere Dokumentation machen. Ein Straßenmädchen, das sich an die Regierung wenden möchte, das behauptet, ein totes Mädchen auf dem Marktplatz sei ihre Schwester, das über Nacht total zusammengeschlagen wurde und beinahe ausgerissen wäre, als wir die Polizei auch nur erwähnt haben. Gestern hat sie bei mir zu Hause ein bißchen geredet. Es fielen ein paar Namen. Die Frage ist – was machen wir jetzt? Wie geht es weiter? Hat jemand von euch einen Vorschlag?»
«Ich meine, wir sollten uns erst selbst darüber klar werden, was genau wir mit ihr erreichen wollen», schlug Aggie vor.
«Okay. Dann fangen wir bei dir an. Was möchtest du für sie erreichen?» fragte Dina Aggie. Doch an ihrer Stelle räusperte sich Kabria und antwortete: «Auf jeden Fall wollen wir ihre Wiedereingliederung. Während wir gleichzeitig herausfinden, was sie auf die Straße getrieben hat. Kurzum, wir müssen uns mit ihrer ganzen Geschichte befassen. Meine Tochter hat von der Schule Aufklärungs-Broschüren mitgebracht und…»
«Aufklärungs-Broschüren?» rief Vickie aus.
«Also, ich war zuerst auch schockiert», räumte Kabria ein. «Aber ich habe bereits eine Menge dazugelernt. Es gibt ein ‹Peer-zu-Peer›-Beratungsprogramm über sexuelle Themen, AIDS eingeschlossen. Ich würde gerne wissen, wie das funktioniert, oder besser gesagt, funktionieren könnte bei den Jugendlichen auf der Straße.»
«Aber wer hat Fofo zusammengeschlagen? Und was ist mit der angeblich toten Schwester?» fragte Vickie.
«Darüber wollte sie partout nicht reden, aber scheinbar hat sie nichts dagegen, wenn wir es mit ihrer Mutter besprechen», erklärte Dina.
«Diese Maa Tsuru?»
«Ja.»
«Und was meint sie damit, wenn sie sich an die Regierung wenden will?» wollte Aggie wissen.
«Ach das», kicherte Dina. «Sie sagte etwa sinngemäß, daß es doch die Regierung sei, die die Macht habe, Leute dazu zu bewegen, etwas Bestimmtes zu tun oder zu lassen.»
«Und die Polizei? Müssen wir denen nichts melden?» bohrte Aggie weiter.
«Was denn zum Beispiel?» fragte Dina nach.
«Naja, ich dachte, zumindest sollten wir zur Polizei gehen und herausfinden, was sie über das tote Mädchen wissen. Und danach entscheiden wir, ob wir Fofos Fall melden oder nicht.»
«Setzen wir damit nicht Fofos Vertrauen wieder aufs Spiel? Denkt daran, was wir ihr versprochen haben», gab Kabria zu bedenken.
«Schon. Aber ich habe das deutliche Gefühl, daß wir erst etwas mehr über das tote Mädchen herausbekommen sollten, bevor wir uns mit der Mutter und dieser alten Dame treffen», beharrte Aggie.
«Da hat Aggie nicht unrecht, Dina», mischte sich Vickie ein. «Wir können uns an die Polizei wenden, ohne ihnen etwas von Fofo zu erzählen. Zumindest noch nicht.»
Kabria nickte zustimmend.
«Okay», erklärte Dina. «Dann also auf zur Polizei, und anschließend machen wir uns auf den Weg zu Fofos Mutter und der alten Dame. Einverstanden?»
«Einverstanden», antworteten alle wie aus einem Munde.
«Und was ist jetzt mit Harvest FM?» fragte Aggie.
«Ich bin in ständigem Kontakt», erläuterte Dina. «Kabria und Vickie, ihr geht zur Polizei und anschließend zu Fofos Mutter. Ich fahre in die Klinik und spreche mit Fofos Arzt. Dann gehe ich bei mir zu Hause vorbei und sehe nach ihr. Demzufolge mußt du, Aggie, hier im Büro bleiben und die beiden Akten auf den neuesten Stand bringen. Die der verrückten Schwangeren und die von Fofo.»
Die Polizeistation befand sich an einer sehr belebten Ecke und bot, gelinde gesagt, einen traurigen Anblick. Zerbrochene Fensterscheiben, kaputte Rohre, Risse in den Wänden, deren Farbe abgeblättert war, empfingen Vickie und Kabria. Der Beamte hinter dem altmodischen Empfangstresen, der sehr gelangweilt von der Welt, seinem Job und nicht zuletzt von sich selbst wirkte, erwiderte ihren lauten und deutlichen Gruß mit einem mürrischen Nicken. Und nachdem er sich ihr Anliegen mit unbeteiligtem Gesichtsausdruck angehört hatte, zeigte er auf eine Tür. Sie klopften an und hörten ein Geräusch, das sie als ein «Herein» interpretierten. Aber der Inspektor war völlig vertieft in seine Zahlen und hatte ihr Klopfen gar nicht vernommen,
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