Die Gespenster von Berlin
altmodisches Tonbandgerät mit riesigen Bandspulen sein wie in den einschlägigen Hollywoodfilmen. Ein Kassettenrekorder, ein Mini-Disc-Recorder oder Computer mit Soundkarte reichen aus. Die Theorie mit den Tonbandstimmen geht davon aus, dass die Geister einen Geräuscherohstoff benötigen – beispielsweise Wasserplätschern, Radiorauschen, Fernsehgeräusche –, um sich überhaupt ausformen zu können. Während der Aufnahme selbst kann eine etwaige Artikulation aus dem Jenseits nicht festgestellt werden. Erst beim Abspielen können Stimmen entdeckt werden. Geübte Tonbandstimmen-Praktiker berichten von den erstaunlichsten Botschaften (siehe dazu auch die Archivalien von tonbandstimmen.de). Andere Menschen wenden sich von diesem Zeitvertreib enttäuscht wieder ab.
Mein Plan lautete, in dem ehemaligen Studio der Neuseeländerin Latham während einer Mitternacht mit Wassergeplätscher und Radiorauschen unterlegte Aufnahmen zu machen und unter den Geistern von Bethanien knallharte Befragungen durchzuführen. Zu einem späteren Zeitpunkt wollte ich dann überprüfen, ob auf dem Band etwas zu hören war. Für die Übernachtung war eine Genehmigung des Künstlerhauses Bethanien nötig. Valeria Schulte-Fischedick war zwar bereits über mein Forschungsprojekt informiert, genehmigte die Gespensterjagd aber erst, nachdem ich ihr versprochen hatte, dass ich die anwesenden Stipendiaten nicht mit Gruselmärchen erschrecken oder verstören würde; dass die ganze Unternehmung mit höchster Diskretion und Zurückhaltung, lautlos und spurlos abliefe. Dies zu versprechen war so einfach wie billig, und damit kam Planstufe zwei: Wersollte assistieren? Eine nächtliche Gespensterjagd in einem höchst verdächtigen Gebäude ist ein heikles Unterfangen. Ich bekam Angst, sie drückte sich in Lustlosigkeit aus, die Vorbereitungen verliefen schleppend, das ganze Projekt eine Qual. Man würde sich in die Hose machen, so ganz allein, oder unheilbar wahnsinnig werden, wie die Irren in den Filmen des deutschen Expressionismus, das war sicher. Ein Assistent musste her, ein Watson, ein Jonathan Harker und ein Passepartout in einem. Meine erste Wahl fiel auf Mareike Dittmer. Einige Worte zu Mareike Dittmer. Sie ist immer gut gelaunt und sammelt Kunst und Freundschaften. Wenn einst von dieser Epoche als dem Jahrhundert des Netzwerkens erzählt werden wird, dann kann Mareike Dittmer darin nichts anderes als ein großer Fixpunkt sein. Regelmäßig, Ende Mai, veranstaltet sie ein opulentes Picknick an einem Berliner See, und es gab noch kein Jahr, an dem das Wetter dabei nicht mitgespielt hätte. Denn Mareike Dittmer scheint eines jener Glückskinder zu sein, auf deren Wegen die Sonne immer scheint, einzige Ausnahme bildet der Tag ihres Hochzeitsfestes auf dem Berliner Ausflugsschiff Hoppetosse. Das muss eine Prüfung der Götter gewesen sein, es regnete und es war viel zu kalt für die Jahreszeit, aber das fand Mareike Dittmer lustig und sie ließ sich das Feiern nicht verderben. Sie ist psychisch so stabil und so ausgeglichen, wie man es nur sein kann, wenn man Astronaut ist oder die Welt voller Freunde weiß. Bewundert wird Mareike Dittmer wegen ihrer fundierten Kenntnisse über französischen Wein – ihr Ferienhaus steht in der Champagne – und wegen ihrer echten Leidenschaft für zeitgenössische und klassische Literatur. Sie besitzt auch eine Menge Bücher über Berlin, von denen ich im Zuge dieser Gespensterbuch-Arbeit einige ausgeliehen habe.
Mareike Dittmer war sofort bereit, eine wache Nacht als Gespensterjägerin zu erleben, und wollte sich auch um die Geräte für die Aufnahme der Stimmen aus dem Jenseits kümmern. Außerdem hatte sie eine moderne Legende auf Lager, ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Erwartungshaltungen ein Hörergebnis beeinflussen können. Und weil es nicht uninteressant ist, wie Mareike Dittmer an ihre neue, unbekannte Aufgabe heranging, soll diese moderne Legende hier erzählt werden. Es handelt sich um die so genannte Pink-Floyd-Legende. Und es geht um das Lied »Another Brick in the Wall Part II« von Pink Floyd, das als Single – und auch auf dem Album »The Wall« – im Jahre 1979 erschienen ist und die Gehörgänge der Menschen erfolgreich malträtierte. Angeblich hat das Lied auch zum Fall der deutsch-deutschen Mauer beigetragen, aber davon handelt die Legende nicht. Moderne Legenden werden übrigens im FOAF-Verfahren erworben und weitergegeben – FOAF heißt, der »Friend Of A Friend« hat es einmal
Weitere Kostenlose Bücher