Die Gespenster von Berlin
selbst erfahren, ein Freund eines Freundes hat es zumindest erzählt, und der weiß es von jemandem, der ganz sicher dabei war. (Ergänzend ist das Internet ein Über-Freund geworden, der solche Geschichten erzählt, verknüpft, verwahrt.) Mareike Dittmer hat diese Legende über die wissenschaftliche Kolportage kennen gelernt, als sie einen befreundeten Journalisten der Zeitschrift »Geo« bei einer Recherche zum Thema »Verhalten und Psyche« begleitete. Sie gingen zu einer Veranstaltung in der Berliner »URANIA«, wo Experten, Laien und auch deren Hybride mit und ohne Dias täglich Vorträge zu jedem erdenklichen Thema halten. Mareike Dittmer jedenfalls hörte einen Vortrag über paranormale Wahrnehmung, und sie sagte, auf eine ironische Art, dass sie sich dabei»prächtig amüsiert« habe. Das heißt, sie amüsierte sich erst sekundär, durch eine Umdeutung des Dargebotenen. Dies ist eine spezielle Eigenschaft des erwachsenen Menschen, die es ihm erlaubt, Langeweile in Kurzweil zu verwandeln. Wobei entscheidend ist, in welcher Gesellschaft man sich befindet, ob also der Umdeutungsprozess Ansporn enthält oder sanktioniert wird. Gehen wir davon aus, dass Mareike Dittmer sich wohl fühlte, als sie von folgendem Sachverhalt erfuhr:
Die Pink-Floyd-Legende
In dem Lied »Another Brick in the Wall Part II« von Pink Floyd singt ein Kinderchor folgenden Text:
We don’t need no education
We dont need no thought control
No dark sarcasm in the classroom
Teachers leave them kids alone
Hey! Teachers! Leave them kids alone!
All in all it’s just another brick in the wall.
All in all you’re just another brick in the wall.
Das Studio, in dem die Aufnahmen gemacht wurden, befand sich in einer ehemaligen Schule. Der Chorleiter bzw. Aufnahmeleiter hat Kinder dorthin bestellt und sie auf dem Dachboden missbraucht. Später hat man ihn erhängt auf dem Dachboden aufgefunden. Hört man sich das Lied »The Wall« genau an, meint man, im Refrain »All in all it’s just another brick in the wall« plötzlich folgenden deutschen Text zu hören: »Hol ihn, hol ihn unters Dach«. DieKinder haben heimlich eine deutsche Zeile eingefügt, weil jener Aufnahmeleiter deutschstämmig war. In Varianten dieser Legende heißt der vergewaltigende Aufnahmeleiter »Helmut Schlosser«. In einer besonders kaltblütig gewebten Variante soll dieser Herr Schlosser ein päderastischer, deutschstämmiger Schuldirektor gewesen sein, der es immerhin geschafft hat, im Anschluss an seine Schulkarriere einen Job als Studiotechniker bei Pink Floyd zu bekommen. In einer weiteren Variante soll ein deutscher Tontechniker namens »Herr Fischer« die Platte abgemischt haben. Bei jenem Fischer soll es sich um einen Satanisten gehandelt haben, der sich nach diesem Tonstudio-Job auf Anordnung seiner Sekte auf dem Dachboden des Studios erhängt hat. Konnte er vorher noch das »Hol ihn, hol ihn unters Dach« als suggestive Botschaft in das Album schmuggeln? Und noch eine Variante: Dieser deutsche Tontechniker Fischer wuchs in einem Waisenhaus auf, wo er schwer misshandelt und regelmäßig auf den Dachboden gesperrt wurde. Gleich nach dem Abmischen des Pink-Floyd-Albums beging er auf dem Dachboden Selbstmord, aber brachte vorher noch die Textstelle »Hol ihn, hol ihn unters Dach« ins Album ein. Angeblich rührten die Musiker von Pink Floyd aus Pietätsgründen nicht mehr an der Sache, und so kommt es, dass es immer noch Leute gibt, die schwören, in »The Wall« ein »Hol ihn, hol ihn unters Dach« zu hören. Ende.
Mareike Dittmer jedenfalls behauptet, dass sie das »Hol ihn, hol ihn unters Dach« deutlich hören kann. Und so war ich überzeugt, dass ich in ihr die genialste Assistentin für die Gespensterjagd gefunden hatte!
Die Jagd begann. Ein bißchen Proviant, die Ausrüstung übersichtlich. Eine Kanne grüner Tee, alkoholfreies Bier, eine Kamera, ein i-pod mit Mikrofon, ein Weltempfänger, Kerzen und zwei Wolldecken mussten fürs Überleben reichen. Wir aßen vorher noch aufgewärmte Reste eines Rehgulaschs mit Spätzle, welches Mareike Dittmer am Vortag für ein Essen im großen Kreise gekocht hatte. Dann fuhren wir gesättigt und voller Erwartung nach Kreuzberg zum Mariannenplatz. Es war 21.30 Uhr, als wir an einem Abend im späten September 2008 das Gebäude betraten. Wir waren mit Valeria Schulte-Fischedick verabredet, sie sollte uns das Atelier aufschließen, in dem wir die Nacht verbringen wollten. Frau Schulte-Fischedick hatte große
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