Die Gespenster von Berlin
jeden Sommer über dem Berliner Dom fliegen und sich nach halsbrecherischen und vollendet koordinierten Kunstflügen über der Domkuppel in den angrenzenden Bäumen niederlassen. Håkansson ist nicht der Typ, der sich was ausspinnt, nur um was zum Reden zu haben. Da ist er ziemlich skandinavisch, er trinkt am liebsten sein Bier aus der Flasche und schweigt. Sein Bethanien-Erlebnis geht ins Jahr 2001 zurück:
Es war nach Mitternacht, Håkansson saß am Schreibtisch, arbeitete am Laptop. Es wurde auf einmal furchtbar kalt. Håkansson schaute auf, sein Blick fiel auf das Fenster. In der Glasscheibe spiegelte sich, was hinter seinem Rücken im Raum geschah: Ein alter Mann ging durch das Atelier.Er trug weiße lange Unterhosen, er hatte weiße Haare und war ganz dünn. Der Unbekannte jammerte, ging auf und ab und verschwand schließlich durch die Wand. Da ging auch die Kälte wieder. Håkansson klappte seinen Laptop zu und verließ das Haus, fuhr zu Freunden. Nach diesem Erlebnis übernachtete er nie wieder in Bethanien. Er mietete sich eine Wohnung in Mitte und suchte das Atelier nur noch zum Arbeiten auf, und niemals wieder nach Mitternacht.
Schon folgt der nächste Bericht, zu einem Spukschloss gehört mehr als nur eine Wanddurchschreitung. Die zypriotische Künstlerin Haris Epaminonda war von 2007 bis 2008 Stipendiatin in Bethanien. Wieder zurück in Nikosia, der Hauptstadt Zyperns, erzählte sie auf Nachfrage, dass sie sich während ihres Aufenthaltes oft gefürchtet hatte. Während ihres Jahres in Berlin schuf Epaminonda Collagen aus antiquarischem Bildmaterial und installierte in der Neuen Nationalgalerie eine Vitrine. Sie berichtete Folgendes (übersetzt aus dem Englischen):
» Liebe Sarah ,
gut, dass du mich danach fragst, ich hatte nämlich im Winter ein merkwürdiges Erlebnis. Eine ganze Weile, immer nachts, vernahm ich eine männliche Stimme. Es klang wie ein Abendgebet, und es war, als käme die Stimme von der Decke, oder darüber. Es klang, als würde jemand weinen oder trauern. In der ersten Nacht war ich total verängstigt und bat meinen Freund, er solle nachschauen, ob da was ist. Zuerst dachte ich, ich würde diese Stimme nur in meinem Kopf hören. Aber mein Freund bestätigte mir, dass es nicht meine Phantasie war, denn er hörte es ja auch.Wir gingen in den zweiten Stock, um zu sehen, ob es etwas mit den Wasserrohren oder der Heizung zu tun haben könnte. Aber im zweiten Stock gab es diese Stimme nicht mehr. Ich fragte meine Nachbarn, ob sie etwas bemerkt hätten, aber sie sagten, sie hätten nichts gehört. Das ging eine ganze Weile so, etwa zwei Monate lang, dann war es plötzlich vorbei. Ich sah nie irgendetwas, hörte nur immer diese leise weinende, gequälte Stimme. Ich möchte eigentlich immer noch nicht glauben, dass es ein Geist war, dennoch bleibt es ein Rätsel, wo die Stimme eigentlich herkam. Zugegeben, Bethanien ist nachts ein sehr unheimlicher Ort, aber ob das von der geisterhaften Atmosphäre kommt oder weil man in einem riesigen Haus mit einer seltsamen Vergangenheit wohnt – ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich jetzt in meiner eigenen Wohnung deutlich besser schlafe.«
Haris Epaminonda hatte das Studio 136 im ersten Stock und hörte Stimmen, die nach Abendgebet, Weinen und oder Wimmern klangen. Stimmen, die sie nicht zuordnen konnte. Die Künstlerstudios waren früher Krankensäle, was zunächst nichts weiter heißen soll. Bethanien ist ein sehr großes Haus, das verschiedene Institutionen beherbergt und von vielen Menschen genutzt wird. Es hat riesige Flure, Säle, Treppenhäuser und verwinkelte Ecken, mehrere Küchen, Waschräume, Werkstätten und Büros. Geräuschquellen, die zunächst unsichtbar, aber letztlich identifizierbar sind, sollte es also genug geben. Doch bevor wir voreilig allzu vernünftige Schlüsse ziehen, hören wir den dritten und vorerst letzten Gespensterbericht.
Frau Valeria Schulte-Fischedick, Leiterin des Internationalen Atelierprogramms im Künstlerhaus Bethanien, reagierte gelassen auf meine Frage, ob sie von Künstlern wisse, die mit den Geistern von Bethanien Kontakt hatten. Geister seien nicht selten Thema gewesen, sagte sie.
Sie nannte die neuseeländische Künstlerin Nathalie Latham, die sei sehr offen und beredt mit dem Thema »Präsenzen im Haus« umgegangen. Nathalie Latham war 2007 für ein Jahr in Bethanien. Sie reist für ihre fotografischen und filmischen Arbeiten viel, und so dauerte es eine Weile, bis sie auf die E-Mail aus
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