Die Gespenster von Berlin
einem das Grabfeld nach einem schnellen Blick in einen Computer mitgeteilt. Niemand hat sich als Grabpfleger oder Angehöriger eintragen lassen, bemerkt die Sachbearbeiterin mit vorwurfsvollem Blick. Es gebe generell immer weniger Erdbestattungen und familiäre Grabpflege, sagt sie traurig. Der Friedhof ist besonders schön, das machen die großen Bäume und die schmuckvollen Gräber aus anderer Zeit. Vorbei geht es an den imposanten Gräbern der Musikfamilien Kollo und Bechstein. Sogar ein »letzter Enkel« von Johann Sebastian Bach, der Musikus Wilhelm Friedrich Ernst, liegt seit 1845 hier. Hoch thronende, schwarzglänzende Steine behaupten sich eindrucksvoll als letzte Distinktionen Berliner Bürger. Obelisken mit kostbaren Verzierungen und gemeißelte Sätze: Der Tod ist groß. So eine Aussage verbietet jeden weiteren Dialog mit denen da unten, wenn es nicht schon das Naturgesetz tut. Friedhofsgärtner schieben Schubkarren, Besucherinnen füllen Gießkannen. Mehrere Schilder warnen vor Handtaschendieben. Beim Anblick des kleinen Grabes der armen Emilie, das die Erbschleicher ihr trotz Kontovollmacht nur bescherten – Urnenbeisetzung, Trockenblumen, keinerlei Daten auf dem kümmerlichen rotbraunen Stein, nicht einmal ihr Vorname wird genannt –, entsteht die Vision, dass es bei diesem Spuk vielleicht doch um mehr geht als um die Wehmut einer Seele, die zwar 95 Jahre leben durfte – welch ungeheure Lebenszeit 95 Jahre sind –, aber nie viel Freude dabei hatte. In diesem Haus ist noch altes Geld versteckt, will Emilie sagen. Zwanzig oder zwanzigtausend D-Mark, wer weiß, bei C&A bekäme man für die alte Währung noch einige Hausfrauenkittel. Also: Putzen, Mädels, oder die nächste Sanierung bringt es an den Tag.
Gespensterjagd in Bethanien
Bethanien ist voller Gespenster, sie zu finden und mit ihnen zu sprechen war der Plan. Ich hatte vieles gehört über die Gespenster von Bethanien, ein Geist in Gestalt eines alten Mannes ging hier durch Wände, und mehr noch geschah, was nie hätte geschehen dürfen. Bethanien steht mitten in Kreuzberg auf dem Mariannenplatz und der Bau sieht aus wie die Phantasie einer großen Trutzburg aus dem Mittelalter. Zwei Lanzetttürme, ein großes Tor, lange Flügel wie uneinnehmbare Mauern. Glassplitter von zerschellten Bierflaschen und kaputten Straßenlaternen liegen auf dem Vorplatz, und der unvermeidliche Hundedreck komplettiert den trostlosen Eindruck. Das Spukschloss war einmal ein Krankenhaus der Diakonie, von 1847 (dem Jahr seiner Eröffnung) bis 1970. Jetzt ist es ein Ort, wo Laptops geklaut werden, und alle, die dort arbeiten, haben Angst, dass bald wieder eines verschwindet. Nur wenige Leute in der Stadt interessieren sich für das, was in Bethanien passiert. Hausbesetzer, Vereinsmenschen, Stadtteilaktivisten, und Spuk schert diese Leute wenig. Das »Künstlerhaus Bethanien« plant den Umzug, die sind fast schon weg. Über dem Platz schwebt eine sagenhafte Tristesse, fast romantisch, wenn das Berliner Wetter im Allgemeinen besser wäre, wenn Schweine fliegen könnten. Ja, dem Berliner ist Bethanien kackegal, der geht da nicht hin. Man sollte ein Spukhotel für Gruselfreunde aus aller Welt daraus machen. Bis dahin aber ist Bethanien ein verwunschener und verspukter Ort nur für die, die es erlebt haben. Hier spukt es wirklich, davon handelt diese Geschichte. Vielleicht erfahren wir sogar, warum es in Bethanien spukt, denn Hinweise genug gibt es.
Hunderte von Künstlern aus aller Welt kennen die Gespenster von Bethanien. Künstler, die in den letzten vierzig Jahren ein Aufenthaltsstipendium des Berliner Senates erhielten und eine Zeit lang in Bethanien wohnen durften; manche sagen allerdings: mussten. Man bot ihnen ein Studio, den Kontakt zu anderen Künstlern, Geld für Materialien und zur Lebenshaltung; und zur Krönung des Aufenthaltes eine eigene Ausstellung im Haus. Der erste Künstler, der von einer Geisterbegegnung erzählte, war Henrik Håkansson. Der 1968 geborene Schwede ist einer der erfolgreichsten konzeptuellen skandinavischen Künstler der Gegenwart. Er wurde bekannt durch Installationen, Film- und Audioarbeiten über Tiere, Pflanzen und Insekten. Er reiste in den Dschungel von Borneo, um dort Vogelstimmen aufzunehmen, er filmte schlafende Riesenschlangen, er spielte Fröschen Technomusik vor und nahm Schallplatten mit Vögeln auf, z. B. »Monsters of Rock«. Er hat auch einen wunderschönen Film über die riesenhaften Schwärme der Stare gemacht, die
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