Die Gespenster von Berlin
halten? Das Tierheim jedenfalls meldete sich nie zurück. Nach drei Wochen wollte der Kater es wissen, er schaute Annika unverwandt an, neigte den Kopf und riss die Augen weit auf. »Okay!«, sagte sie. »Okay, du kannst bleiben.« So war es entschieden.
Auffällig war, dass der Kater immer im Haus blieb, nicht in den Garten hinausgehen mochte. Weder in Schweden noch später in Berlin. Selbst wenn die Familie mit allendrei Katzen ins Landhaus fuhr, der weiße Kater blieb drin. Die schwarze und die graue Katze genossen das ländliche Revier, jagten, kletterten, lagen auf der Wiese und sonnten sich. »Er hatte etwas Majestätisches«, sagt Annika. »Jetzt lebt ein Prinz bei uns, sagten meine Kinder immer, er ist anders als die anderen Katzen. Er kommt von einem Königshof, da ist er weggelaufen.« Er ist ein Prinz, ein Prinz aus Schweden. Deshalb nannten sie ihn Prinsis. Einmal war Prinsis unvermittelt vom Balkon gefallen, ein tiefer Fall, er hatte Prellungen. Vielleicht mochte er deshalb nicht mehr raus? Als er einmal doch verschwand, hängte Annika Suchplakate auf. Eine sehr bekannte schwedische Autorin meldete sich, sie sagte, der Kater sitze den ganzen Tag an ihrem Fenster, als warte er auf jemanden. Annika war erleichtert. Jetzt weint sie nicht mehr, wenn sie an ihn denkt, den Kater, der nun tot ist. Er starb vor einem Jahr in ihrer Wohnung in Berlin Mitte. In einem schiefen, von quietschend-holzigen Geräuschen durchzogenen Mietshaus aus dem Jahr 1755, an dem abzulesen ist, dass Handwerk und Wohnen hier einmal zusammengehörten. Mittlerweile steht das Haus unter Denkmalschutz, inmitten einer aufgeräumten Gegend nah am Hacke’schen Markt, die vor allem fürs Shoppen und Lunchen prächtig taugt. Vor dem Haus sind messinggoldene Stolpersteine in den Straßenbelag eingelassen, sie erinnern an das Ehepaar und ihre beiden kleinen Töchter, die auch einmal in diesem Haus lebten und die man unwiederbringlich wegschaffte, nach Auschwitz und Buchenwald, um sie zu töten.
Annikas Wohnung ist mit Designklassikern, farbigen Lampen und vielen Vasen und Büchern eingerichtet. Auf den Sitzen halten sich gefaltete Wolldecken bereit. Es istkühl, es ist eine Wohnung für heißen Tee, auch im Sommer. »Meine Mutter starb sechs Monate nach Prinsis. Aber ich vermisse ihn. Ja, ihn vermisse ich viel mehr.« Sie weint, als sie diesen Gedanken formuliert. Bevor Prinsis starb, war Annika oft weg. Das Tier war müde und schwach. Als Annika sich eines Nachmittags ins Bett legte, kam der Kater dazu, legte sich auf Annikas linke Schulter und Gesichtshälfte. Das war ungewöhnlich, normalerweise legte er sich an ihre rechte Seite. Er nahm seine Tatze und kniff sie sanft in die Backe. Das hatte er vorher noch nie getan, seine Tatze benutzt, fast wie die Finger einer Hand. Er schaute Annika an, fixierte sie mit leicht zusammengekniffenen Augen und sagte Ade. Ich mag dich. Ein leises Geräusch, der Gaumen blau. Er hatte zwölf Jahre mit ihr gehabt. Er war nicht kastriert. Er ging nie aus dem Haus. Er blieb immer an seinen Menschen dran, wich ihnen nicht von der Seite. Und als er starb, verabschiedete er sich.
Jetzt wissen wir, wie Prinsis zu Annika kam, haben eine Idee davon, wie sie zusammen lebten und wie er starb. Nun aber zu den Berliner Gespenstern.
Annika bekam vor einigen Jahren vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) das Angebot, eine große Wohnung in der Innsbrucker Straße im Stadtteil Schöneberg zu nutzen. Der DAAD verfügt über zwanzig Wohnungen und einige Ateliers und Studios in Berlin, in denen die Stipendiaten wohnen können. Die Immobilien befinden sich alle im Westteil der Stadt, zum Leidwesen vieler Künstler, die es in den Osten drängt. Tracey Emin beispielsweise wohnte vor ein paar Jahren in einer Wohnung im Storkwinkel im Grunewald, sie selbst war gar nicht Stipendiatin, sondern ihr damaliger Freund Mat Collishaw,deshalb ist sie da mit eingezogen. Keine Topadresse, keine High Society in der Nachbarschaft, wie sie schnell herausfand, weshalb sich die prominente Künstlerin beim verantwortlichen Leiter des Künstlerprogramms, Herrn Meschede, beschwerte. In der Wohnung seien Geister, da könne sie nicht bleiben, da spuke es. Es war nicht das erste Mal, dass Bewohner des Storkwinkel Herrn Meschede von geisterhaften Vorkommnissen berichteten. Aber Tracey Emin musste bleiben. Mittlerweile will der DAAD Gästewohnungen mit und ohne Geister auch im Osten der Stadt anbieten.
Die DAAD-Wohnungen sind alle recht
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