Die Gespenster von Berlin
einfach nur erleichtert. Denn sie erwartet ihr erstes Kind. Es sollte auf keinen Fall in das furchtbare Haus in der Göhrener Straße geboren werden.
Heike und ihr Mann kamen aus Köln und suchten eine Wohnung in Berlin. Es musste schnell gehen. Innerhalb von zwei Tagen bewältigten sie ein Dutzend Besichtigungen. Dann das Angebot der Firma Boettcher Immobilien, die jeden Sonntag Wohnungsbesichtigungstouren durch den Prenzlauer Berg veranstaltet: Fünf Zimmer, 115 qm im Prenzlauer Berg. »Ziemlich runter, halb renoviert, also nicht zu Tode renoviert, man konnte noch was daraus machen«, sagt Heike. »Es war ein schönes Gefühl anfangs. Wir dachten, wir tun das Richtige. Aber ich bin ein abergläubischer Mensch.« Der Mietvertrag sollte unterschrieben werden, direkt in der Wohnung. Heike schnitt sich am Papier den Finger. Blut tropfte. »Drei Tropfen auf den Boden. Ich sehe noch vor mir, wie es tropfte. Ein, zwei, drei Blutstropfen, mitten im Zimmer. Nein, es hat nichts zu bedeuten, redete ich mir ein. Nein, es ist gar nicht schlimm.«
Nach der Unterzeichnung fuhr Heike zurück nach Köln, um ihren Hausstand einzupacken. Drei Wochen später stand sie wieder in der neuen Wohnung. Ihr erstes Gefühl:»Ich will hier nicht meine Tasche abstellen, ich will hier nicht bleiben. Das Gefühl blieb zweieinhalb Jahre. Deshalb wurde die Wohnung nicht renoviert und nicht schön eingerichtet. Deshalb blieb sie in einem provisorischen Zustand. Weil sie so ungeliebt war. Ich war in dieser Wohnung überhaupt nicht gerne alleine. Da habe ich mich echt gegruselt. Ich hatte Angst, das Licht auszumachen, und wenn ich im Bett lag, waren meine Gedanken beherrscht von der Frage, ob hier nicht irgendwelche Kräfte am Werk seien, die nicht gut sein könnten.«
Heike erklärt sich ihr Unbehagen auch mit der Lage der Wohnung, alle Zimmer gingen nach Norden und waren relativ dunkel. »Und abends war es richtig dunkel.« Gegenüber stand ein hässlich anzusehendes Haus, man konnte es von allen Zimmern aus sehen. Heike nannte es immer nur »das Leberwursthaus«. Halb verfallen, ochsenblutrot und ockerfarben. Immer nur dieser Ausblick. Sie fühlte sich abgeschnitten von der Welt, durchdrungen von Misstrauen. Der Boden quietschte, die Wände wackelten, es gab ständig Übertragungen von Bewegungen und Geräuschen, die kamen vermutlich aus dem Nachbarhaus. »Komischerweise gab es nette Hausbewohner«, sagt sie jetzt verwundert. Vielleicht spukte ihr eine alte »Spökenkieker-Geschichte« im Kopf herum, die man ihr als Kind oft erzählt hatte, vielleicht war sie deshalb so empfindlich.
»Meine Eltern hatten eine gute Freundin, eine sehr kranke Frau, die Multiple Sklerose und Krebs hatte. Sie musste aus ihrer Wohnung ausziehen. Mein Vater half ihr bei allem und führte auch interessierte Nachmieter durch die Räume. Einmal war ein altes Schwesternpaar da, um dieWohnung zu besichtigen. Die eine Frau blind, die andere Frau schwerhörig. Die Frauen besahen die Räume und sagten: Da kann niemand drin leben, man würde unweigerlich schrecklich krank werden.«
Der diffuse Spuk in der Göhrener Straße wurde für Heike durch ein überraschendes Ereignis ein klein wenig gemildert. Eines Tages bekam sie Besuch von ehemaligen Bewohnern, und sie stellte erleichtert fest, dass es in diesem Haus früher »ganz normales Leben, normale Bewohner« gab:
»Einmal kam eine ältere Dame, fast achtzig Jahre alt, mit ihrem jüngeren Bruder die Treppe hoch. Der Bruder sagte, seine Schwester hätte als Kind in den 1930er Jahren in diesem Haus gewohnt, in dem auch seine anderen Geschwister geboren wurden. Sie betraten die Wohnung. Der Mann fotografierte das Schlafzimmer und die alte Dame erinnerte sich, wo die Möbel der Eltern gestanden hatten. Der Bruder umriss die Familiengeschichte: Der Vater sei Beamter gewesen und nach Ostpreußen versetzt worden, die Familie musste am Ende des Krieges flüchten. Dann erzählte die alte Dame von ihrer Klavierlehrerin, die im gleichen Haus gewohnt hatte. Einmal habe sie, sie war noch ein kleines Mädchen, unten im Laden Maggi gekauft und im Treppenhaus davon genascht. Die Klavierlehrerin habe sie dabei erwischt und es den Eltern brühwarm erzählt.«
Heike wollte ja eigentlich von ihrer unheimlichen Mietwohnung berichten, erzählte aber dann zwei Geschichten, in denen alte Geschwisterpaare auftreten. Das eine Paar,zwei Schwestern, blind und schwerhörig, machen eine nicht ganz alltägliche Bemerkung, die sie zu Seherinnen werden
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