Die Gespenster von Berlin
Treblinka umgebracht. Das Ehepaar Schäfer , er hatte einen Doktortitel und war 81 Jahre alt, seine Frau Charlotte 77 Jahre alt, als sie mit den Fürths und den Schimmecks an jenem 17. August 1942 deportiert wurden. Die Nachbarin Frau Lily Orgler allerdings traf es 1942 als Erste, man verschleppte sie bereits im Januar, und sie starb im Ghetto von Riga mit 55 Jahren. Genauso wenig überlebte das Ehepaar Wolff , Max und Adele, 64 und 71 Jahre alt, die am 21. September 1942 nach Theresienstadt kamen. Gleich neben dem Fahrstuhl mit der Namenstafel liegt der Eingang einer Arztpraxis. So kommt es, dass vor allem Patienten diese Tafel lesen. Aber auch Handwerker und sonstige Besucher bleiben manchmal davor stehen und lesen. Herr Schulz, der Bewohner, der die Tafel angebracht hat, erzählt, dass er sie vor etwa fünfundzwanzig Jahren zusammen mit anderen Wohnungseigentümern initiierte. Es gab eine kleine Gruppe im Haus, Progressive, die Bettlaken aus den Fenstern hängten, wenn politisch was anlag. Gegen Atomkraft beispielsweise. Er sagt, es gab mal eine Ausstellung über die Juden im Bayrischen Viertel, die hat er sich angesehen. Die »jüdische Schweiz« wurde die Gegend auch genannt, denn viele wohlsituierte Juden lebten hier. Durch die Ausstellung erfuhr er dann auch die Namen der jüdischen Bewohner und dass sie ermordet wurden. Das gab den Ausschlag für die Tafel. Im Ausstellungskatalog las er, dass es Hausbesitzern schon ab 1939 erlaubt war, Juden fristlos die Wohnung zu kündigen. Die Juden kamen dann in so genannte Judenhäuser und wurden von dort aus deportiert. Doch erst mal halt und danke, lieber Herr Schulz. Eine andere Frage sollte erst geklärt werden:Was ist da passiert, warum reden wir plötzlich über Katzen, Geister und Juden? Die Geschichte begann doch mit einem weißen Kater und seinem leicht merkwürdigen Verhalten in einer Berliner Altbauwohnung. Und jetzt sollen die Geister von jüdischen alten Herrschaften adlige weiße Kater aus Schweden mitsamt ihren Frauchen erschrecken? Und in Nebenrollen feiste Nachbarn auftreten, die dem Bild des bespitzelnden Deutschen entsprechen und den vielen internationalen Gästen aus Kunst und Wissenschaft Ungezieferbefall unterstellen? Während einige liberale Nachbarn sich mit den Fremden solidarisieren? Ein äußerst problematisches Gemisch, ein ganz heißer Scheiß, ein Paradebeispiel für die zum Greifen nahe Möglichkeit, Geisterkitsch und Holocausttragik miteinander zu verrühren.
Vielleicht wäre es das Beste, wenn ich die Katzen-Juden-Geschichte unter den Teppich kehre und auf eine andere, einfachere Geschichte warte. Ich nehme auch eine mit einem übersinnlich begabten Kater, kein Problem. In den vielen Katzen-Foren des Internets kann man einige »Meine-Katze-sieht-Gespenster«-Geschichten lesen, ganz im Muster von Annikas Erzählungen über Prinsis, und vielleicht ist ja auch wirklich was dran. Aber bitte keine verfolgten und getöteten Juden, die in ihren ehemaligen Wohnhäusern spuken. Ob aber Geister so feinfühlig sind und sich daran halten? Natürlich nicht, ihre Natur ist das Unplanmäßige. Der Spuk stört die Ruhe-in-Frieden-Beziehung zwischen den Lebenden und den Toten.
»Ruhe in Frieden« ist ein Gebot, das sich in Selbstlosigkeit tarnt und Verhaltensregeln entwickelt, es sogar mit der kulturell wirksamen Waffe des Tabus ausstattet. Mansoll den Friedhof nachts nicht betreten. Man soll keine Gräber öffnen. Man soll auf dem Friedhof nicht laut Musik hören, Fahrrad fahren oder auf Gräbern picknicken oder kopulieren. Man soll Leichen nicht im Haus belassen. Natürlich soll man das alles nicht, und das ist gut und vernünftig. Aber diese Tabus werden durch das Phänomen des Spukens und Gespenstischen untergraben. Um beim Totengräberlatein zu bleiben – in den klassischen Gespenstergeschichten geht es doch genau so zu: Die Gräber öffnen sich, die Knochen klappern, ein Gejaule und Geheule ertönt über den Friedhof, die Dunkelheit der Nacht wird durch den Vollmond aufgehoben, die Gespenster treten ins Haus, sie gehen durch Wände, sie befreien sich von den Ketten der Naturgesetzgebung (deshalb rasseln sie ja auch so triumphal, sie sind dem Kerker entflohen) und sie legen sich zu dir ins Bett und fassen dich an. Das alles tun Gespenster wirklich. Diese Handlungen sind feste Bestandteile unserer kulturellen Vorstellungswelt, die wir in der Literatur ausleben.
Was aber tun Gespenster, die keine Gräber haben?
Was tun die Gespenster des
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