Die Gespenster von Berlin
Holocaust? Kehren sie in ihre Wohnungen zurück, aus denen sie verjagt wurden? Es scheint so zu sein, werden doch die Wohnhäuser der Holocaustopfer durch die inzwischen angebrachten Gedenktafeln und Stolpersteine zu einer Art Grabstelle. Die Menschen heute machen sich auf die Suche nach diesen Geistern und versuchen, ihnen mit einem Stein einen Anker zu geben. Sie erweisen ihnen ihre Anerkennung, indem sie sagen: Sie lebten vormals hier, Sie haben hier gelitten, Sie sind weit entfernt gestorben, aber heute denken wir an Sie, es tut uns um Ihretwegen leid. So hätte es nicht kommen dürfen.
Auf Friedhöfen steht immer irgendwo der Satz: Der Tod ist groß. In Berlin müsste es heißen: Der Holocaust ist groß. In Treppenhäusern, vor Wohnhäusern, auf Straßenbelag sind Steine und Tafeln die festgezurrten Haltepunkte, die ein wenig verbinden zwischen gestern und heute. Die Schatten testen dich, hatte Annika gesagt.
Vielleicht haben Sie es schon bemerkt, ich versuche von der eigentlichen Frage abzulenken, wenigstens für einen kleinen Moment. Die Frage ist, wie es nun eigentlich weitergeht mit der Geschichte von Prinsis und dem Haus in der Innsbrucker Straße. Als Geisterjägerin sage ich, mehr Indizien müssen her, bis entschieden ist, was von der Sache zu halten ist und ob eine Verknüpfung von Katergejaule und ehemaligen jüdischen Hausbewohnern überhaupt nötig ist. Was nun diesen schwedischen Prinzen angeht, kann man seine Herkunft – war er überhaupt adlig? – ein bisschen genauer unter die Lupe nehmen. Merkwürdig war, dass der Kater Prinsis, zumal er nicht kastriert war, darauf verzichtete, in der Natur herumzustreifen, in den Garten hinauszugehen, das Haus einfach einmal zu verlassen. Die von den Kindern erdachte Legende vom verfolgten Königssohn ist zauberhaft. Die Wissenschaft dagegen bietet eine viel traurigere Erklärung für dieses besondere Verhalten an: Ganz weiße Katzen besitzen eine genetische Disposition, sie werden häufig mit Gleichgewichtsstörungen, Taubheit und Sehschwierigkeiten – bis hin zur Blindheit – geboren. Prinsis war offensichtlich von diesem Gendefekt betroffen. Was Annika nicht wusste.
Kleiner Exkurs über das Weiß-Gen
Weiße Katzen sind keine Albinos, bei ihnen ist lediglich das Weiß-Gen dominant, es werden keine Farbträger gebildet. Weiß ist keine Farbe, sondern Ausdruck eines Gens, das maskiert oder überdeckt. Man kann es sich wie einen Mantel vorstellen, der sich über die eigentliche Farbe legt und sie unwirksam macht. Normalerweise verbreiten sich während der Embryonalphase die Farbträger der Katze, die für die Produktion von Pigment zuständig sind, über den Körper. Doch durch das Weiß-Gen wird dieser Vorgang, der Migration genannt wird, gestört. Gibt es im Erbgut der Katze noch ein weiteres Weiß-Gen, wird die Migration in der Iris gravierend gestört. Häufig besitzen rein weiße, blauäugige Katzen auch kein Tapetum Lucidum, ein Organ, das eine stark reflektierende Schicht im Auge bildet. Ist es nicht vorhanden, erkennt man es meist an einer weit geöffneten Pupille. Ist dies der Fall, werden sogar die Farbträger in den Haarzellen im Innenohr unterdrückt, und dies führt zu Schwerhörigkeit oder sogar Taubheit. Der Zusammenhang der Gehörlosigkeit mit der Menge des Pigments im Auge scheint bewiesen: Auge und Ohr liegen nah beieinander, der Hörgang wird durch den gleichen Auslöser negativ beeinflusst. Ebenfalls ist das Gleichgewichtsorgan betroffen. Das heißt, das Risiko der Taubheit steigt, je mehr Weiß genetisch vorhanden ist. Katzen sind bei der Jagd auf ihr Gehör angewiesen und in der Regel mit einem ausgeprägten Hörvermögen ausgestattet, nur Delphine und Pferde nehmen mehr Töne wahr. Das Gehör ist der Katze bei der Jagd eine immense Hilfe. Sie kann mit ihrem Gehör einzelne Töne selektieren, selbst imUltraschallbereich, und diese verstärkt wahrnehmen. So kann die Beute genau geortet werden. Eine taube Katze hat in freier Wildbahn also keine Überlebenschance. Auch für eine Hauskatze führt Taubheit zu einer starken Beeinträchtigung. Viele deutsche Katzenzuchtvereine verbieten deshalb ihren Züchtern, rein weiße Katzen miteinander zu paaren. Generell haben alle weißen Katzen einen Defekt, der sich unterschiedlich äußert. Die Zucht von Nachkommen rein weißer Katzen – in der Verpaarung mit farbigen Katzen – ist auch nur dann erlaubt, wenn das Tier durch einen audiometrischen Test seine Hörfähigkeit nachgewiesen
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