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Die Gespenster von Berlin

Die Gespenster von Berlin

Titel: Die Gespenster von Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Khan
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Wedding handelte. Auf den Spuk im Merkel-Haus kam Vera kaum zu sprechen, aber als ich sie fragte, ob die Inuit-Kunstwerke unheimlich seien und als Quelle des Spuks in Betracht kämen, schrieb sie: »Die Ereignisse Am Kupfergraben 6 können ausschließlich mit der Maisonette-Wohnung zu tun haben. Auf dem Dachboden ist bestimmt mal etwas Schreckliches geschehen. Einmal war es besonders unheimlich, der Galerist war nach Mannheim gefahren, um neue Inuit-Skulpturen zu holen. Die Uhr blieb stehen, die Katze war unruhig, sie lief mit einer Angstbürste herum und fauchte ohne erkennbaren Grund. Ich packte die Katze in eine dicke Decke und flüchtete in den Laden. Dort, in einem kleinen abgeteilten Raum, fanden wir endlich Ruhe und konnten schlafen. Obwohl der ganze Laden voller Inuit-Skulpturen war. Von denen ging nicht die geringste Bedrohung aus, im Gegenteil: Wir fühlten uns dort wohl. Sie alle wurden von Künstlerhand erschaffen und hatten etwas Besonderes. Aber eben nichts, was eine Gänsehaut hätte verursachen können.«
    Wie konnte ich dem Spuk auf den Grund gehen? Ins Haus gehen und die Bewohner fragen? Ich fuhr mit dem Fahrrad vor, und eingeschüchtert von den wachhabenden Polizisten, mimte ich Kurzsichtigkeit und zeigte Unsicherheit. Dieser Abschnitt der Straße ist vom Tourismus geprägt, überall stehen Reisebusse. Gegenüber befindet sich der Eingang zum Pergamon-Museum, einem der größten touristischen Austragungsorte der Welt. Wo kann man hier seine Brötchen kaufen? Die Zeitung? Altägyptische Grabbeigaben liegen näher. Hier wohnen Menschen, die sich um frische Brötchen nicht scheren. Die Nachbarschaft ist von schlechten Restaurants, Dependancen windiger Stiftungen und Institute geprägt. Nur abends, wenn die Reisebusse verschwunden sind, wird das Ganze zu einer erstklassigen Filmkulisse des Kalten Krieges. Und wenn an feuchten Tagen der Dunst der Spree um die Museumsinsel kriecht, drückt die Kraft der Steine uns Menschen nochkleiner. Eine grandiose Anekdote zu diesem Flecken Erde stammt von dem Philosophen Boris Groys, der in einem Interview mit der Zeitschrift Lettre International beschrieb, wie er einige Wochen nach dem Fall der Mauer einen Spaziergang von Unter den Linden bis zum Pergamonmuseum machte und den Eindruck nicht loswurde, dass er sich in einem Bild der Neuen Sachlichkeit befand. Bis plötzlich ein westdeutscher Kulturfunktionär auf ihn zutrat und ihm die Zerstörung all dessen prophezeite, was im Kühlschrank-Ost so lange konserviert worden war: » Alles war leer, keine Cafés, keine Fußgänger, kein Leben auf den Straßen, überhaupt nichts – und da war sie, die merkwürdige Atmosphäre der Neuen Sachlichkeit, Bilder aus den zwanziger, dreißiger Jahren, leere Straßen, als ob man plötzlich in ein Gemälde hineinspaziert. Ich ging weiter und weiter, und dann habe ich plötzlich die Museumsinsel entdeckt, ohne zu wissen, dass es die Museumsinsel ist. Weiterhin war alles menschenleer, alle Museen standen offen, es gab keine Eingangskontrollen, ich bin einfach von einem Museum ins andere gegangen, schließlich ins Pergamonmuseum, zum Pergamonaltar, vor dem ich nun völlig allein stand. Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir, und jemand, in dem ich einen Kulturfunktionär aus Westdeutschland erkannte, sagte: ›Jetzt kommen die aus dem Westen und zerstören alles.‹ Ich fragte: ›Und warum werden sie alles zerstören?‹ Er antwortete: ›Weil es für Behinderte nicht geeignet ist. Sie stellen das fest und zerstören alles.‹ Das war der erste Kommentar zum Mauerfall, den ich hörte. « aus: Lettre International, Heft 86, »Berlin auf der Couch«, Berlin 2009, S. 39.
    Die Pointe ist groß und der Spannungsbogen exzellent, doch die Prophezeiung hat sich für diesen Ort – für andere Teile Ostberlins eher – nicht erfüllt. Das Pergamonmuseum ist nach wie vor weder für Behinderte noch für Nicht-Behinderte geeignet, es ist ein Ort voller Raubkunst, Todeskult, systematischer Rätselhaftigkeit, Überwältigung und schlechtem Kaffee.
    Als ich mit meinem Damenrad vor Merkels Haus stand, traf ich aufgeschlossene Polizisten. Die Monotonie ihrer Arbeit ist wohl der große Schwachpunkt ihrer Tätigkeit. Sie gaben mir Tipps, wie mein Fahrrad zu optimieren sei, den Schutzmännern gefiel mein angebrochenes Schutzblech nicht. Ich bemerkte, dass es die Galerie, die ich suchte, offenbar nicht mehr gäbe. Die Polizisten sagten, dass eine Bar dort einziehen werde. Ist das nicht ein

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