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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Fässer vom Met trinken, ohne auch nur zu schwanken. Sie werden lustig, auf ihre Art – oh ja. Aber sie verlieren niemals das Bewusstsein.« Ich wollte das nicht glauben. Irgendwann haute der Alkohol auch den stärksten Gnom vom Thron. Sie mussten einfach nur genug davon zu sich nehmen.
    Gerade als ich grübelte, wie das zu bewerkstelligen war, flog die Tür zur Küche auf. Einer von Laurins Spießgesellen stand schwankend in der Tür. »Der König will dich sehen«, forderte er leicht lallend.
    Jetzt oder nie, dachte ich. »Hat die Suppe geschmeckt?«, flötete ich möglichst freundlich. Der Zwerg stutzte einen Augenblick, dann nickte er begeistert. »Nun, ich würde für euch weitere köstliche Gerichte zubereiten«, schmeichelte ich.
    Seine Augen leuchteten hungrig auf, daher fuhr ich schnell fort. »Aber dazu brauche ich allerlei Gemüse und Kräuter. Ich will gerne mit Jonathan ein paar schmackhafte Zutaten in der Oberwelt sammeln … Wenn du uns den Weg dorthin zeigst!« Der Zwerg runzelte die Stirn und kratzte sich mit seinem langen gelben Zeigefingernagel hinter dem schmutzigen Ohr. Ich wollte lieber nicht so genau hinsehen. Nach einigen Sekunden nachdenklichen Schweigens öffnete er den Mund. »Gibt keinen Weg, außer durch die Felsenhalle«, nuschelte er.
    Ich starrte ihn an. »Aber … das kann doch nicht sein!«, rief ich. Mein ganzes Vorhaben schien sich in Luft aufzulösen.
    Der Zwerg nickte ein paar Mal nachdrücklich mit dem Kopf. »Nur durch die Felsenhalle«, wiederholte er. »Aber da kommt ihr so oder so nicht raus. Der König hat befohlen, dass kein Menschling sein Reich je wieder verlassen darf.« Mit diesen Worten packte er mich unvermittelt an meinen langen Haaren und zerrte mich durch die Tür in den Felsensaal, wo Laurin wartete.
    Bis ich vor dem Thron stand, war ich beinahe bewusstlos vor Schmerz und Ekel. Der Gestank, der von dem Zwerg ausging, hatte mir fast den Atem geraubt. Nun rang ich nach Luft, was ich aber gleich bereute, denn Laurins Körperausdünstungen waren mindestens genauso übel. Würgend presste ich mir die Hand vor Mund und Nase, doch der Herrscher schien diese Geste als Schüchternheit zu interpretieren, denn er lächelte gütig von seinem Sitz aus bleichen Gebeinen auf mich herab.
    »Holde Similde, die uns ein solch frugales Mahl bescherte«, hub er an, und ich verdrehte die Augen. Ich hatte mich ja daran gewöhnt, ständig mit falschem Namen angeredet zu werden, aber konnte er sich nicht wenigstens halbwegs normal ausdrücken? Doch da fuhr er fort: »Nun singe sie für uns!«
    »Äh, wie bitte?«, stotterte ich überrumpelt.
    »Singe sie!«, wiederholte der Zwergenherrscher, und seine Stimme bekam einen leicht ungeduldigen Beiklang.
    Nein, dachte ich, niemals. Ich hatte für Jonathan gesungen, zum Trost. In Erinnerung an Caro. Für die gemeinen Zwerge und ihren stinkenden, ekelhaften König würde ich keine Note anstimmen, schon gar nicht auf Befehl.
    »Nix da«, sagte ich entschieden, und über Laurins entstelltes Gesicht huschte ein Ausdruck von Verwirrung.
    »Aber liebste Similde, ich vernahm ehedem deine wohltönende Stimme«, beharrte er, und seine Augen verengten sich tückisch. Trotz seines entstellten Gesichts war ihm anzusehen, dass er kein Nein dulden würde, und ich hatte noch gut in Erinnerung, wie mir einer seiner Zwergenschergen den Arm verdreht hatte. Es war also besser, die Gesellschaft bei Laune zu halten. Fieberhaft überlegte ich, was ich singen sollte. Ich konnte ein paar Kinderlieder, aber das dürfte wohl kaum das Richtige sein. Etwas von Madonna? »La Isla Bonita« vielleicht? Die Zeile, in der Madonna sang, sie wolle auf der Insel und nirgendwo anders sein, wäre für Laurin ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl gewesen. Leider konnte ich nichts weiter als diesen kurzen Text auswendig. Meine Stimmlage entsprach am ehesten dem Neue-Deutsche-Welle-Hit »Gib Gas, ich will Spaß« von Markus. Aber ich bezweifelte, dass die Zwerge den Witz des Songs verstehen würden.
    Ich war schon drauf und dran, doch zu streiken, als mir plötzlich eine Idee kam, wie ich Laurins Befehl für meinen Fluchtplan nutzen könnte. Ich würde das Zwergenpack tatsächlich zum Weitertrinken animieren, notfalls so lange, bis eine Alkoholvergiftung drohte. Jonathan irrte sich bestimmt, irgendwann mussten die Promille im Met selbst den stärksten Zwerg fällen. Und wer war für einen Partysong besser geeignet als »Eisgekühlter Bommerlunder« von den Toten Hosen? Allerdings

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