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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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hervor.
    »Du kriegst was anderes, Hasi. Neue Ballettschuhe oder einen Plüschhund, der bellen kann …«, versuchte Claudia ihre Tochter zu beruhigen.
    »Ich will aber nicht! Ich will die Katze und keinen doofen Hund aus Plüsch!«, kreischte die Kleine nun zornig und stampfte mit dem Fuß auf.
    Claudias Lippen wurden schmal. »Karla, keine Diskussion. Du bringst die Katze sofort raus. Wir müssen sowieso los, in einer Viertelstunde treffen wir Sabine und ihre Kids zum Shoppen.«
    »Ooch, die doofe Mirella-Sophie mit ihrer öden Schwester«, nölte jetzt Linus aus dem Hintergrund. Claudia verdrehte die Augen, ganz gestresste Filmdiva.
    »Schluss jetzt, Karla. Raus mit der Katze. Und Linus, du ziehst dir eine andere Hose an. Die da muss in die Wäsche!« Während Claudia ihren maulenden Sohn ins Badezimmer bugsierte, blickte Karla zu mir herunter. Ich himmelte sie aus meinen grünen Augen an und bemühte mich um ein besonders klägliches Maunzen.
    Verstohlen blickte Karla sich um, dann beugte sie sich zu mir und wisperte verschwörerisch: »Keine Angst, ich jage dich nicht weg. Du musst dich einfach unter meinem Bett verstecken und ganz still sein. Wenn wir zurückkommen, bringe ich dir Milch und was zu essen, ja?«
    Ich blickte sie an und miaute zustimmend. Karla bückte sich und hob mich hoch, was ich mir notgedrungen gefallen ließ, obwohl sie mich um den Bauch fasste und mir dadurch fast die Luft abgedrückt wurde. Widerstandslos kroch ich unter ihr Kinderbett mit dem pinkfarbenen Rahmen, der von aufgeklebten Glitzersternchen gekrönt wurde. Unter dem Bett war es erstaunlich sauber, woraus ich schloss, dass Claudia eine Putzfrau beschäftigte, denn unter ihrem Pult in der Schule hatte immer heilloses Chaos geherrscht.
    »Ist die Katze weg?«, vernahm ich ihre Stimme.
    »Ja-haa«, trällerte Karla, »ich hab Muschi nach draußen gebracht.«
    Ich riss in meinem Versteck die Augen auf. Muschi? Jemand sollte dem Kind mal eine »Bravo« in die Hand drücken!
    »Gut, dann zieh dir die Schuhe an, wir müssen los«, drängelte Claudia, und nach ungefähr zehn Minuten hörte ich endlich die zuschlagende Haustür und kurz darauf das Geräusch eines Automotors, das sich langsam entfernte.
    Vorsichtshalber wartete ich noch zwei Minuten, ehe ich unter dem Bett hervorkroch. Zum Glück hatte Karla die Tür ihres Kinderzimmers, in dem sogar die Wände rosa waren, nur angelehnt, und so schlich ich vorsichtig, eine Pfote vor die anderen setzend, aus dem Zimmer und in den Flur. Dort blieb ich stehen und überlegte, wo Udo einen Ring verstecken würde. Wohnzimmer und Küche schieden aus. Schlafzimmer? Auf gut Glück steuerte ich die nächstbeste Tür an und schob meine Vorderpfote zwischen Türblatt und Rahmen, bis sie aufschwang und den Blick auf ein protziges zwei Meter zwanzig breites Bett freigab, über dem eine Art künstliches Zobelfell oder Ähnliches lag. Ein riesiger, weißlackierter Schrank mit geschmacklosen goldenen Griffen zog sich von einer Wand zur anderen, und an der Stirnseite hing ein ebenso modernes wie scheußliches Gemälde, auf dem nichts als graue und schwarze Linien zu erkennen waren. Der ganze Raum brüllte dem Betrachter »Geld« entgegen, und ich schüttelte fassungslos den Kopf, wie der unterdurchschnittliche Schüler Udo von Hassell, der den tiefen Teller nun wirklich nicht erfunden hatte, es so weit hatte bringen können.
    Es musste an dem Ring liegen. Doch hier war das Schmuckstück bestimmt nicht. Wie ich Udo kannte, hatte er Claudia nichts von dem Vorfall in den Bergen erzählt, folglich hatte sie garantiert keine Ahnung, woher sein plötzlicher Erfolg kam. Ihr war wahrscheinlich sowieso nur wichtig, dass sie auch weiterhin genügend auf der Kreditkarte hatte, um mit Sabine
shoppen
zu gehen.
    Also nächstes Zimmer. Dort roch es wie in einer Pumahöhle, und überall lagen verstreute Klamotten Kindergröße XXL herum. Ein überdimensionaler Computerbildschirm und achtlos auf den Boden geworfene Comichefte vervollständigten das Bild. Ich war in Linus’ Reich gelandet und drehte noch an der Tür wieder um.
    Blieb nur noch ein Raum, den ich noch nicht erforscht hatte. Leider war die Tür nicht angelehnt, sondern geschlossen. Ich kauerte mich auf den Boden, nahm Maß, sprang – und rutschte prompt ab. Innerlich fluchend startete ich einen zweiten Versuch, und diesmal gelang mir das Kunststück, mich mit den Vorderpfoten an die Klinke zu hängen, so dass sie heruntergedrückt wurde. Die Tür schwang

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