Die Gewandschneiderin (German Edition)
Unterkünften."
Sie hatte sich schon unbehaglich gefühlt, als der Wächter des Kämmerers vor ihr hergegangen war, aber an der letzten Abzweigung hatte er den Arm einladend in eine Richtung gestreckt und sie vorbeigelassen, sodass er jetzt hinter Anna herging. Sie unterdrückte den Wunsch, sich umzuwenden, schrak aber zusammen, als er sich plötzlich in ihr Blickfeld schob und eine Tür öffnete.
Ein seltsam heller und doch kehliger Laut brach sich die Bahn aus der Gurgel de s Schwarzen. "Tua." Der Kopf wies auf die Kammer. Anna wusste sofort, was gemeint war – hier sollte sie wohnen. Unglaublich - hätte das Wesen sprechen können, sie hätte es für einen Menschen gehalten.
Erst als sie entdeckt hatte, dass Meister Spierl die Kammer neben ihr zugewiesen bekommen hatte und der Schwarze außer Sicht war, ließ Annas Anspannung nach, und sie betrat ihre Unterkunft am kaiserlichen Hof.
Angenehme Kühle schlug ihr entgegen, verheißungsvoll wie ein gestauter Bachlauf. Sie war am Hofe des Kaisers! Ungeachtet dessen war die Kammer schlicht, geradezu eng. Immerhin gab es ein einzelnes Bettgestell mit einer frischen Strohschütte, einen Nachttopf und sogar eine Öllampe.
Die Kisten waren von einem schmächtigen Diener gebracht worden; er hatte sich sichtlich damit abgequält. Angesichts seiner blassen Haut und der dürren Beine in grünlichen Strümpfen verblasste die Erinnerung an den Affenwächter zu einer unwirklichen Erscheinung.
Als alles verstaut war, tappte Anna hinaus auf den Gang zur Tür des Gewandschneiders. Sie klopfte leise, doch er antwortete nicht. War er nicht da? Anna klopfte noch einmal, diesmal heftiger. Poltern, Scharren, dann öffnete sich die Tür.
"Du bist es."
Anna erschrak. Meister Spierl sah nicht gut aus. Die Augen quollen ihm aus den Höhlen, und seine Haut war schon wieder von einer feinen Schweißschicht überzogen.
"Meister, legt E uch hin!" Anna fasste den Alten um die Mitte und schob ihn zu seiner Bettstatt.
" Au! Kannst du nicht aufpassen?"
Anna zuckte zusammen. Auch hier stand ein Nachttopf, und der Gewandschneider war dagegengestolpert. Behutsam drückte sie ihn auf das Lager nieder. Sie musste mehr auf ihn achtgeben.
Als sie seine Sachen ausgepackt hatte, versuchte sie die Schneiderkisten nach vorn an die Tür zu zerren. Die Augen fielen ihr immer wieder zu, und sie gähnte ohne Unterlass. Warum waren die Kisten nur so schwer? Was hatte sie da alles hineingepackt? Aber an Hilfe vom Meister war nicht zu denken. Sie öffnete die Tür und ließ den Blick durch den Gang schweifen. Der schmächtige Diener war verschwunden, und auch von dem schwarzen Wächter war nichts zu sehen. Anna kehrte ins Zimmer zurück, zog und schob und zerrte so lange, bis ihr auch die Hilfe eines Nachtmahres recht gewesen wäre. Endlich standen die Kisten so deutlich von den anderen getrennt, dass die Knechte sie morgens erkennen und in die Nähstube bringen konnten.
Sie betrachtete den schlafenden alten Mann. Seine Brust hob und senkte sich schnell. Anna befühlte seine Stirn. Die Haut war immer noch zu warm für einen Gesunden. Sie seufzte und suchte ihre Kammer auf. Sie musste schlafen, denn wie es aussah, hing nun vieles von ihr ab. Und sie wollte den Kaiser nicht enttäuschen. Vielleicht, schoss es ihr durch den Kopf, konnte sie ihn am nächsten Tag schon sehen. Den Kaiser, für den sie nähen würde. Die blauen Augen der Zeichnung verfolgten Anna in den Schlaf.
Der Meister saß abseits im Lehnstuhl, Anna kniete auf dem Boden vor dem Sohn des Kaisers. Die feinen Strümpfe waren ohne Flecken, das Gewand passte maßgerecht wie von Meister Spierl geschneidert. Konrad wirkte bereits edel gekleidet wie für eine Hochzeit, aber Anna hatte die italienischen und französischen Stoffe gesehen und wusste, um wie vieles prachtvoller das Festtagsgewand werden sollte.
Hätte sie die Arbeit allein ausgeführt, wäre dieser Zwischenschritt nicht nötig gewesen, so aber musste sie den jungen Prinzen von oben bis unten vermessen. Handgelenke, Hals, Mitte, Oberarme, alles wurde umschlungen und die richtigen Stellen der Schnüre mit Knoten gekennzeichnet. Ohne einen Laut oder eine Regung ließ der sonnengebräunte Knabe alles über sich ergehen. Bei genauerem Hinsehen war allerdings ein kaum merkliches Zittern zu erkennen. Anna hatte noch nie ein Kind so lange still an einem Fleck stehen sehen. So wenig Konrad sagte, so viel redete seine füllige Kinderfrau.
„Beeil dich, da mit er nicht so lange
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