Die Gewandschneiderin (German Edition)
kann ich nicht sagen. Aber mein Schwager meint, so seltsamen Tieren sei er noch nie begegnet. Einige gleichen Katzen, anderen hat man den Hals auf der Streckbank so lang gezogen, dass sie wie Wächter über die Häuser hinwegblicken können. Affen sollen dabei sein, auch solche, die schwarz glänzen und fast wie Menschen aussehen.“ Der Knecht machte eine Pause und verhielt die Zügel. „Die dunklen Affen sollen sie sogar als Wächter einsetzen - obwohl ich nicht weiß, warum sie dafür nicht lieber Menschen nehmen.“ Der Wagen holperte durch ein Schlagloch, und Anna stöhnte auf. Als sie wieder nach vorn schaute, war die Ursache des Geruches ganz nahe.
Große Holzgestelle, dem Käfig ähnlich, in dem ihr Vater getaucht worden war, nur breiter, säumten den Weg in großer Zahl. In dem Gitter neben ihr bewegte sich etwas. Neugierig b eugte Anna sich über die seitliche Klappe des Wagens hinweg und erstarrte. Ein Tier duckte sich auf die Pfoten und starrte sie unverwandt an. Fingerlange Reißzähne waren wütend gefletscht, und die gepunktete Nase war so stark gekraust, dass die langen weißen Barthaare schräg nach oben abstanden. Das gemusterte Ungeheuer fauchte laut, und Anna spürte seinen heißen Odem auf dem Gesicht. Sie fuhr hoch und musste sich an der Klappe festhalten, um nicht nach hinten zu stürzen. Sie beschloss, allen Affen, Bären, Hunden und unbekannten Wesen nicht mehr in die Augen zu blicken. Nur einmal gab Anna dem Verlangen nach und blinzelte nach oben, so erstaunt war sie: Es gab sie tatsächlich, die gefleckten Tiere, denen man auf der Streckbank die Hälse so lang gezogen hatte, dass sie als dreifach mannshohe Wächter die Dächer überragten! Doch das Tier schien ihr den Blick nicht übel zu nehmen, denn statt zu fauchen, rupfte es gemächlich Blätter von einem Zweig.
“Das muss es sein.“ Der Knecht deutete auf ein Steinhaus mit einem Wächter und einem Wappen. Anna hielt den Atem an. Das war kein gewöhnlicher Wächter. Schwarz und haarlos, mit breiter Stirn und noch breiterem Kinn, fletschte die Kreatur die blendend weißen Zähne im dunklen Gesicht und stieß seltsame Laute aus. Wenn der Schwager des Fuhrmannes auch in dieser Sache recht hatte, war das einer der erwähnten Affen. Bei Gott, war der groß.
„So. Absteigen, damit ich an die Kisten herankomme.“ Der Knecht zog an der Klappe, doch Anna mochte nicht loslassen. Sie konnte doch nicht hier, neben dem wilden Tier, vom schützenden ...
„Anna, lass los! Wir müssen uns anmelden.“ Meister Spierl stand in respektvollem Abstand, aber für ihren Geschmack doch zu nahe neben dem Affen, doch der machte keine Anstalten, sich auf den Gewandschneider zu stürzen. Anna setzte sich auf die Kante und rutschte langsam zu Boden.
Im Inner n des Anmeldeschuppens war es heiß, aber wenigstens waren sie mit dem Kämmerer allein.
Meister Spierl stellte si ch vor. "Meister Spierl, Gewandschneider aus Trier, eingeladen vom Kaiser persönlich."
Kämmerer Heinrich nickte knapp und trug etwas in ein Buch ein; es schien aus dem gleichen dünnen Pergament gefertigt zu sein wie die großen Wandbilder, auf denen Anna Kaiser Friedrich und seine Braut gesehen hatte.
"Benötigtes Handwerkszeug ist bereitzuhalten und wird morgens von Dienern zur Nähstube gebracht" , erklärte der Kämmerer. Dann hob er ruckartig den Kopf und starrte Anna an. Sie erschrak bis ins Innerste. Erkannte er, dass sie nur eine Näherin war? Würde es hier schon enden?
"Name !", bellte der Kämmerer.
"Anna, meine Gehilfin, sie heiß t Anna", beeilte sich Spierl zu sagen.
Doch Herr Heinrich war noch nicht zufrieden.
"Beiname?" Er beugte sich vor. "Ich muss das wissen. Sonst kö nnte ja jeder kommen, versteht Ihr, was ich meine?" Er lehnte sich zurück und musterte Spierl, doch der nickte Anna nur zu. Sie verstand nicht, was der Mann meinte, aber die herablassende Art, wie er mit dem Meister umging, nahm sie gegen ihn ein.
Sie straffte den Rücken und zog so dünkelhaft wie möglich die Brauen hoch, ehe sie antwortete. "Anna Wille - von Münster." Sie hatte das Schreiben ihres Vaters, sie konnte ihre Herkunft belegen, falls jemand Fragen stellte.
Spierl starrte Anna mit offenem Mund an - er hatte nur noch wenige Zähne, wie Anna besorgt feststellte.
Auch Kämmerer Heinrich musterte sie erstaunt, fasste sich aber rasch wieder und neigte den Kopf.
"Das war mir nicht angekündigt. Ich hoffe, die Kammer ist ausreichend . Fahil bringt Euch zu den
Weitere Kostenlose Bücher