Die Gewandschneiderin (German Edition)
warten muss. Konrad friert leicht.“
Anna antwortete nicht, schüttelte aber verhalten den Kopf. Wie konnte man bei dieser Wärme frieren? Gut, es hatte nachts geregnet, aber der heutige Tag war wieder heiß wie selten im Sommer.
„So, fertig.“ Anna lächelte . Konrad nickte höflich, sagte aber immer noch kein Wort.
„Er spricht nur Italienisch, Lateinisch und A rabisch. Er wird es noch lernen, das Deutsche. Nachdem dieses Land doch jetzt seine Heimat ist.“ Die Kinderfrau strich Konrad über das Haar, und der schob unwillig die Hand beiseite. Anna lächelte. Prinz hin oder her, er empfand offensichtlich wie jeder andere Knabe in seinem Alter.
Konrad war fort, und von den anderen, die ein letztes Mal vermessen werden sollten, war noch nichts zu sehen. Meister Spierl zog einen Lederpacken aus einer seiner Kisten, wickelte ein Buch aus und notierte sich Konrads Maße. Die Nachtruhe hatte ihm gutgetan, die Haut war trocken, der Blick klar. Anna streckte sich und trat an das kleine Fenster. Es ließ nicht genug Licht in die eigens für diesen Anlass hergerichtete Nähstube, und so waren unzählige Öllampen aufgestellt worden, die dem Raum einen festlichen Schimmer verliehen. Wie es einem Raum gebührt, in dem ein Kaiser vermessen wird, dachte Anna.
Die Tür flog auf. Anna fuhr herum. Die Kinderfrau, prustend und schnaufend. „Ich soll ausrichten, dass heute nur noch zwei Damen vermessen werden. Die beiden anderen kommen erst am Tag vor der Hochzeit, zusammen mit der Braut.“
Meister Spierl zog die Stirn in Falten. „Was sagst du , Weib? Am Tag vor der Hochzeit?“ Er warf das kostbare Buch auf den Nähtisch und erhob sich.
„Wir müssen die Maße überprüfen, der Bote hat sie schon vor Monaten gebracht. Was, wenn sie inzwischen nicht mehr stimmen? Zu knapp sind? Oder wenn eine krank war und nun ausgezehrt ist? Sollen die Gewänder herumschlottern oder kneifen?“, schimpfte der Meister.
Die Frau sa nk bei jedem dieser Worte mehr in sich zusammen. „Ich sollte nur die Nachricht überbringen.“
Meister Spierl fasste sich an die Stirn und senkte den Kopf. „Schon gut. Geh“ , murmelte er.
An der Tür wandte sich die Kinderfrau noch einmal um.
„Der Kaiser kommt auch nicht, er ist noch auf der Jagd. Morgen vielleicht, soll ich ausrichten.“ Trotz ihrer Fülle verschwand sie erstaunlich behände durch die schwere Tür, und der Schwall an unfeinen Flüchen, die der Meister ausstie ß, ergoss sich wirkungslos gegen das Holz der geschlossenen Tür.
Es hatte eine halbe Ewigkeit gedauert, bis Meister Spierl sich beruhigt hatte, aber schließlich war es so weit: Sie machten sich an die Arbeit. Konrads Gewand war erst halb ausgeschnitten, und Hemden waren auch noch zu nähen, so hatten sie mehr als genug zu tun an diesem Tag.
Meister Spierl hatte einen Teil der bereitgestellten Mahlzeit ohne ein Wort hinuntergeschlungen und war dann erschöpft in die Kissen gesunken; dabei hatte Anna an diesem Tag den Großteil der anfallenden Arbeiten allein bewältigt. Beim Zuschneiden von Konrads Gewand hatte der Meister selbst Hand anlegen wollen, doch er hatte erst die Hälfte geschafft, als er sich schon wieder ausruhen musste. Wenigstens waren sie ungestört geblieben, und Anna hatte mit der Linken genäht, das hatte viel Zeit gespart.
Inzwischen lag der Gewandschneider erschöpft auf seiner Bettstatt, die Reste der Mahlzeit auf dem Holzteller neben sich, und atmete flach und schnell.
„ Los, iss etwas! Morgen brauchst du deine Kräfte“, keuchte er.
Anna war noch immer besorgt. Die Arbeit konnte sie schaffen, im Notfall sogar allein. Aber durchhalten musste er . Der Kaiser ließ sein Gewand wohl kaum von einer unbekannten Näherin anfertigen. Warum war der Alte auch so starrsinnig? Wiffi hatte ihn doch eindringlich gewarnt. Anna atmete tief durch. Eigentlich hatte sie fragen wollen, ob er sich wirklich zutraue, allein zu bleiben, aber der Gedanke an die kindische Heringsschlemmerei schnürte ihr den Hals zu, und so wandte sie sich einfach um und ging.
Auch in ihrer eigenen Kammer erwartete sie ein gut gefüllter Teller. Fröstelnd zog sie die Schultern hoch. Wie immer nach einem langen Tag in der starren Haltung des Nähens fror sie bis ins Mark. Der Raum war fast dunkel, und von der Wärme des Tages war hier nichts mehr zu spüren. Anna stellte sich an den kleinen Ausguck. Draußen war es noch hell und warm, und sie verließ ihre Unterkunft.
D ie Wipfel der Bäume erglühten unter den letzten
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