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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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sie längst fertig gewesen, als de Vinea hereinplatzte. Nur gut, dass sie die Maße im Kopf hatte.
     
    Passte das? Anna hielt die Schnüre noch einmal an die breite Mitte des einen Gewandes. Sie hatte die Brautjungfer noch nicht gesehen, konnte sich also kein Bild von ihr machen. In einem solchen Fall hatte es Vorteile, mit der Methode des Meisters zu arbeiten, das musste Anna eingestehen. Ob das Kleid der Jungfer passte, die keine mehr war, oder ob diese inzwischen um die Mitte herum noch ausladender geworden war, wusste Anna nicht. Jedenfalls stimmten die Maße mit denen der Schnüre überein, und sie hatte auf Anraten des Meisters ein Gutteil zusätzlichen Stoffes zum Auslassen mit eingearbeitet. Sie streckte den Rücken und warf den Kopf hin und her, um den schmerzenden Nacken zu lockern. Wie lange nähte sie schon? Spätes Nachmittagslicht fiel von Westen her durch das winzige Fenster, aber es blieb noch genügend Zeit bis zum Nachtmahl.
    Meister Spierl erhob sich ächzend und trat zu ihr an den Nähtisch. Er schob eine der unzähligen Öllampen beiseite und lehnte sich gegen die Tischkante.
    Körperlich ging es ihm besser, aber er hatte üble Laune. Die versprochenen Schnüre waren noch nicht gebracht worden, und es drängte ihn, mit dem Gewand des Kaisers zu beginnen.
    “Bist du sicher, dass er die Schnüre schicken wollte? Sollten wir sie nicht vielmehr irgendwo abholen?”, fragte er zum wiederholten Mal.
    Anna seufzte. “Ja, Meister , ich bin sicher. Er sagte, die Schnüre würden gebracht.”
    Allmählich wurde auch sie ungeduldig . Friedrich war ein Mann - was galt sein Versprechen? Und was konnte sie dafür, wenn er das Gewand nicht wichtig nahm und sich nicht sogleich darum kümmerte? Meister Spierl wollte sich nicht auf ihre Schätzungen verlassen, wenn er den sündteuren Stoff zuschnitt, das verstand Anna. Aber er hatte doch noch die Schnüre, die man ihm nach Trier gebracht hatte.
    “Warum fangen wir nicht mit den alten Schnüren an? Notfalls können wir doch noch ändern.”
    “Und was, wenn sich die Maße geändert haben wie bei der Jungfer, hä? Den Stoff bekommen wir nicht nach. Und einmal verschnitten, ist der Stoff verdorben. Bist du nicht lange genug bei mir, um wenigstens das zu begreifen?”, nörgelte der Alte.
    Anna hob die Schultern. Sie trug ihm die Gehässigkeit nicht nach. Er war zwar wieder einigermaßen arbeitsfähig, seit der Leibarzt des Kaisers ihn behandelt hatte, aber noch immer stand ihm bei der kleinsten Anstrengung der Schweiß auf der Stirn. Und sie verstand auch, dass er die richtigen Maße zur Hand haben wollte. Nur helfen konnte sie ihm nicht. Sie legte das fertige Frauengewand über die Kleiderstange und warf einen Blick in den Korb. Alles, was vorzubereiten gewesen war, hatte sie abgearbeitet. Konrads Gewand war zur Gänze fertig, die Gewänder für die Zofen waren vorbereitet, das Unterkleid für Isabella und das Hemd für den Kaiser waren genäht – es gab nichts mehr zu tun, außer endlich mit dem Schnitt für die beiden Hauptgewänder zu beginnen.
    “ Die Arbeit ist erledigt. Was jetzt?”, fragte Anna.
    Der Meister funkelte sie böse an und beugte sich in seinem weichen Sessel nach vorn. “Dem Kaiser sagen, er soll die Maße schicken, damit wir nicht zur Untätigkeit verdammt sind und er uns köpfen muss, weil sein Hochzeitsgewand nicht rechtzeitig fertig wird.” Er lehnte sich zurück und seufzte. “Geh einfach nach draußen oder sonst wohin, oder iss etwas. Ich ruhe in meiner Kammer. Wenn die Schnüre morgen kommen, fangen wir sofort an. Ohne irgendwelche Pausen.”
    Anna nickte und erhob sich. Nach dem Tag in der verqualmten Nähstube gierte sie nach frischer Luft. Selbst das Wasser in de n beiden Krügen schmeckte inzwischen nach Lampenruß; als Erstes würde sie sich sauberes Wasser besorgen.
    Kaum auf dem Gang, wich Anna erschrocken in eine Türnische.
    Ein Knäuel aus Armen und Beinen, zappelnd und bebend, kam kreischend auf sie zu. Speere klapperten zu Boden, Fäuste flogen. Sie brauchte einen Augenblick, bis sie begriff, worum es sich handelte: Zwei der Wächter mit den Lendenschurzen waren ineinander verkeilt und prügelten sich.
    Anna wich zurück in die Türnische, doch ihre Furcht vor versehentlichen Treffern war unbegründet. Zwei Schritte vor ihr hielten die Streithähne inne, trennten sich voneinander, standen sich aber immer noch angriffslustig gegenüber, die Fäuste drohend erhoben. Da erkannte Anna den Wächter aus dem Saal

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