Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
Vom Netzwerk:
der Schale und grub die Zähne krachend tief in das Fruchtfleisch.
    “Nun, habt Ihr eine Zeichnung angefertigt?”
    Meister Spierl nickte eifrig und entrollte eines der riesenhaften Pergamente, die doch keine waren. Er sah sich suchend um, fand aber nur kleine Tisch e, also legte er den Entwurf auf die Liege.
    “Ein langer Rock mit geraden Borten, herrschaftlich und doch anmutig im Erscheinungsbild, dazu ein Unterkleid, das nur ganz wenig hervorblitzt. Ein leichter Überwurf und breite Ärmel, dem neuesten Geschmack entsprechend …”
    Der Kaiser warf einen flüchtigen Blick auf die Zeichnung und biss wieder in den Apfel.
    “Wird das Gewand den Fürsten angemessen genug erscheinen?”
    “O ja, Majestät. Der kostbare Stoff und die üppigen Borten werden Eure Stellung unterstreichen, ohne zu sehr zu beschweren. Das Kleid der Dame wird darauf abgestimmt sein, sodass sich eines harmonisch zum anderen fügt.”
    “Gut.” Der Kaiser hob beide Arme auf Schulterhöhe. “Fangt an, es ist nicht viel Zeit.”
    Meister Spierl fuhr herum und nestelte an Annas Beutel. Sein Gesicht war bleich, und feine Schweißperlen sammelten sich schon wieder auf der Oberlippe. Anna strich sich das Haar aus der Stirn und biss sich auf die Unterlippe. Wenn der Alte nur durchhielt, bis sie ihre Arbeit verrichtet hatten! Sie half ihm und reichte ihm eine Schnur. Er nahm sie, doch seine Finger zeigten wieder jenes Zittern, das auch die früheren Anfälle angekündigt hatte.
    Halt durch !, beschwor Anna ihn im Geist. Halt durch! Man würde sie sicher nicht noch einmal zum Messen holen. Wäre Anna allein gewesen, was hätte es sie gekümmert? Sie hatte alle Maße gesehen und sich gemerkt - mit Ausnahme der oberen Schenkelbreite, die unter den Stoffmassen der fremdländischen Hose nicht auszumachen war. Aber der Meister bestand darauf, mit den Schnüren zu arbeiten.
    Tock! Tock! Tock!
    Die Türflügel wurden aufgestoßen.
    “Petrus de Vinea, kaiserlicher Berater !”, rief einer der Wächter.
    Anna beugte den Kopf tief über ihren Beutel, als suche sie etwas darin. Doch sie hatte sich umsonst gefürchtet. De Vinea beachtete sie nicht, eilte an ihr vorbei auf den Kaiser zu und nahm ihn vertraulich am Arm.
    Flüstern und T uscheln, ein gemurmelter Befehl, den Anna nicht verstand, dann stürmte der kaiserliche Berater wieder davon. Anna atmete auf. Doch als sie zu Meister Spierl hinübersah, sank ihr der Mut. Kreidebleich, nur von der puren Kraft seines Willens aufrecht gehalten, versuchte er mit feuchten Fingern dem Kaiser die feinen Schnüre umzulegen. Auch Friedrich schien zu merken, dass etwas nicht stimmte.
    “Ist E uch nicht gut, Meister?”
    “Doch, ich …” Spierl hielt inne und würgte.
    Anna räusperte sich. “Vielleicht eine Verstimmung, Majestät.”
    “Hm.” Friedrich starrte den Gewandschneider an, bis selbst Anna ins Schwitzen geriet. “Hm”, machte er noch einmal, dann ergriff er eine goldene Glocke und schlug sie an.
    Umgehend öffnete sich eine der beiden Türen , und der schwarze Wächter schob den Kopf in die Öffnung; den Speer hielt er respektvoll nach draußen.
    Mithilfe jener seltsamen Laute, die der andere Wächter ausgestoßen hatte, erteilte Friedrich offenbar eine Anweisung. Der Wächter mit der zartgrünen Haube verneigte sich zum Zeichen, dass er verstanden hatte, reichte seinem Gefährten den Speer und trat auf Meister Spierl zu.
    Anna stellte sich vor ihren Herrn. Sie würden ihn doch nicht gleich köpfen, nur weil er einmal zu krank war, um den Kaiser zu vermessen! Der schwarze Riese kam immer weiter auf den Gewandschneider zu, der sich inzwischen kaum noch auf den Beinen halten und ganz gewiss nicht wehren konnte.
    “Lasst ihn!” , fauchte Anna, die Hände zur Abwehr ausgestreckt. Der Hüne blieb stehen und sah seinen Herrn fragend an.
    Friedrich griff sich an die Stirn. “Du sprichst kein Italienisch, richtig?” Er trat auf Anna zu und nahm sie sanft am Arm.
    Kaiser oder nicht, Anna machte sich steif, sollte er sie doch mit Gewalt wegzerren und ebenfalls köpfen.
    “Karim tut ihm nichts. Er bringt ihn in seine Kammer und holt meinen Leibarzt, der ihn untersuchen soll. Ich kenne diese Anzeichen - das ist keine einfache Verstimmung.”
    Das klang nicht, als wolle der Kaiser Meister Spierl hinrichten lassen. Widerstandslos ließ Anna sich zur Seite ziehen und machte Platz für den Wächter. Gerade noch rechtzeitig, denn im gleichen Moment sank der Meister zusammen und landete sanft in Karims dunklen

Weitere Kostenlose Bücher