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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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Armen.
    Anna raffte die Schnüre zusammen und wollte hinterhereilen, doch ein Zuruf hielt sie zurück.
    “Du. Wie war dein Name?”
    “Anna.”
    “Anna. Miss du weiter, Anna !”
    “Ich …”
    “Kannst du es nicht?” , fragte der Kaiser ungehalten.
    “Doch …”
    “Dann zu! Ich habe noch anderes zu tun.”
     
    Sie kniete vor dem Kaiser und schlang eine Schnur um dessen Oberschenkel, da, wo das Bein am breitesten war. Sein Geruch verwirrte sie. Herb und gleichzeitig frisch, vermischt mit etwas Tierhaftem, das wie ein Goldfaden im Duft mitlief und in ihr den unziemlichen Wunsch weckte, das Bein zu berühren. Ihre Fingerspitzen zitterten. Sie blickte nach oben. Er sah aus dem Fenster, merkte nichts. Sie knotete die Schnur an der richtigen Stelle, genauso, wie der Meister es ihr gezeigt hatte, während ihr Herz vor Aufregung wie wild klopfte.
    Die nächste Schnur, ei nmal um die Wade geschlungen. Wieder tastete sich ihr Blick über die Hose und das gewickelte Hemd nach oben, um sich zu vergewissern, dass er ihre bebenden Hände nicht wahrnahm und sie womöglich auch zum Arzt schickte. Da erkannte sie, dass er nicht länger aus dem Fenster sah, sondern sie von oben herab betrachtete - mit Augen, so blau wie ihr Kleid, und ihr war, als dringe sein Blick bis auf den Grund ihrer Seele.
    Er streckte die Hand aus, vorsichtig, wie um sie nicht zu ängstigen, und nahm eine Strähne ihres Haares zwischen die Finger.
    Anna atmete ganz flach. Er sollte sie nicht anfassen, er durfte doch nicht …
    “W elch eine Farbe, favoloso …”, murmelte er.
    Dann geschah alles gleichzeitig. Anna senkte den Kopf, und ein Speer wummerte gegen die Tür, die im nächsten Augenblick aufgerissen wurde.
    “Petrus de Vinea, kaiserlicher …”, rief der Wächter.
    Anna sprang auf. Ihre Wangen brannten. De Vinea musterte sie mit einem Blick, in dem deutliches Erkennen geschrieben stand, und funkelte sie verächtlich an. Der Berater nahm den Kaiser am Arm und zog ihn in eine Ecke, wo er aufgeregt auf ihn einredete. Anna verstand kein Wort, auch de Vinea schien diese andere Sprache – Italienisch? – zu beherrschen.
    Was mochte er bloß mitzuteilen haben? Wie de Vinea sie angesehen hatte! Anna überlief ein Schauer. Beschwerte er sich beim Kaiser über ihre Frechheit? Einzelne Fetzen des halb lauten Geschnatters drangen auf Deutsch an ihr Ohr.
    “Fürsten…” hörte sie und “Mainz”, auch “Landfrieden”. Anna atmete auf. E r schien zumindest nicht über sie zu sprechen.
    “Muss das sofort sein? Ich bin hier gleich fertig”, wandte der Kaiser ein.
    “Federico, bitte !”, drängte de Vinea.
    Der Kaiser kam schnellen Schrittes auf Anna zu.
    “Wir sind hier fertig.” Sie widersprach nicht, es fehlten nur noch wenige Schnüre, sie würde sie einfach aus dem Gedächtnis anfertigen.
    Er knotete die Schnur ab, die ihm noch um die Wade hing, und reichte sie Anna. Ihre Hände berührten sich. Sie zuckte zusammen.
    “Ich lasse dir die fehlenden Maße bringen, noch heute.” Ein Nicken, dann wandte er sich wieder seinem Berater zu . Anna war entlassen. Sie sammelte ihre Utensilien ein und näherte sich der Tür. Gerade als sie sich fragte, ob sie die Tür öffnen durfte, ertönte das Glöckchen hinter ihr. Ein Türflügel schwang auf, und Anna schlüpfte auf den Gang hinaus.
    Was hatte der Kaiser bloß an ihre m Haar gefunden?
     
    Der Gewandschneider lag im Bett, bleich wie nasses Linnen, und starrte sie mit großen Augen an. Wenigstens ist er nicht wieder bewusstlos, dachte Anna.
    “Wie ist es um E uch bestellt?”, fragte sie.
    “Hast du die Schnüre, Kind?”
    Fahrig glitten seine Hände über das Laken. Sollte sie ihn mit der Wahrheit beunruhigen? Er durfte sich nicht aufregen. Doch was, wenn er wach war, während jemand die fehlenden Schnüre brachte? Sie musste es ihm sagen.
    “Die meisten. Es fehlen noch vier Maße, die werden nachgeliefert.”
    Der Meister öffnete den Mund, doch bevor er Anna Vorwürfe machen konnte, sprach sie schnell weiter.
    “Dringende Regierungsgeschäfte, etwas mit den Fürsten. Ich konnte wirklich nichts dafür”, verteidigte sie sich.
    M eister Spierl nickte zögernd. “Es wird schon gelingen”, murmelte er schwach.
    Anna war froh, nicht getadelt worden zu sein, aber glücklich war sie nicht. Das schlechte Gewissen nagte an ihr. Hätte sie mehr auf die Schnüre und weniger auf diesen Duft geachtet – allein beim Gedanken daran kribbelte ihr die Haut zwischen den Schulterblättern –, wäre

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