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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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Schweißtropfen perlten über die dunkle Haut, und der Stoff an Brust und Bauch hatte sich dunkel verfärbt.
    “Warum rennst du weg, närrisches Ding?”, fauchte Alimah.
    Anna lehnte sich gegen die kühlenden Steine des Tores . Die Knie zitterten ihr, und ihr war übel.
    Alimah musterte sie forschend. “Hast du einen Dämon gesehen? Du bist ganz weiß.”
    “Jemand … den ich kenne … er sollte mich nicht sehen.”
    Alimah fragte nicht weiter nach, sie nickte n ur. “Dann sollten wir rasch verschwinden.”
     
    In der Kammer von Meister Spierl stank es erbärmlich, aber wenigstens war es kühl. Hier schien die Sonne erst am Nachmittag durch das kleine Fenster herein. Der alte Mann lag nur da und atmete flach wie schon seit Tagen.
    Anna setzte sich auf den Stuhl und versuchte sich zu beruhigen. Was war schon geschehen? Sie hatte eine Stimme gehört, die der von Heinz ähnelte … die Heinz´ Stimme war , flüsterte es in ihrem Innern. Aber sie war überzeugt, dass er sie nicht gesehen hatte. In diesem Haus war sie geschützt. Sie würde einfach bis zum Ende des Auftrages nicht mehr ausgehen, dann konnte sie nicht entdeckt werden. Und wenn der Kaiser sie entlohnt hatte, würde sie mit Meister Spierl einen geschlossenen Wagen nehmen. Bei der Sommersonne war das auch besser für den Kranken. Sie musste sich nur ruhig Blut und einen kühlen Kopf bewahren, dann würde alles gut werden. Das Haus des Gewandschneiders war ein sicheres Versteck. Bei Wiffi, Jan und dem Meister war sie gut aufgehoben. Nachdem Spierl so krank war, würde er sie sicher weiterbeschäftigen, besonders seit er Dietrich hinausgeworfen hatte. Warum war ihr dann nur das Herz so schwer?
     
De Vinea
     
    Die Sonne warf ihre Strahlen schon schräg durch das kleine Fenster, als es endlich klopfte. Anna öffnete; M´Ba füllte fast den gesamten Rahmen aus, so breit waren seine Schultern.
    “Kommen zum Kaiser. Bringen sein … Kleid”, richtete er aus.
    Anna hob den sorgfältig eingeschlagenen Packen vom Tisch. Viermal hatte sie die Stoffhülle abgenommen und alles überprüft, doch sooft sie auch nachgesehen hatte: Die Maße stimmten, die Nähte schimmerten makellos, alles war so, wie es sein musste. Trotzdem zitterten ihr auf dem ganzen Weg die Finger. Der Gang über den Hof und die Stufen im Palas waren Anna inzwischen bekannt, nichts lenkte ihre Gedanken ab. Wie mochte die Laune des Kaisers sein? War er freundlich und zuvorkommend wie gestern? Oder unfreundlich und harsch wie bei der letzten Anprobe? Und dann dieser Kuss. Sie durfte nicht darüber nachdenken. An den Hals geworfen hatte sie sich ihm, wie Lina, diese dumme Gans, es damals bei Heinz versucht hatte. Wie sollte sie Friedrich je wieder unter die Augen treten? Je näher sie den Gemächern kam, desto unsicherer wurde sie. Wenn er sie noch einmal so forschend betrachtete, würde sie sicher von der Begegnung mit Heinz auf dem Markt erzählen. Aber was, wenn sie sich täuschte, Gespenster gesehen hatte? Dann war sie nicht nur eine dumme Gans, sondern eine verrückte dumme Gans. Wie Friedrich mit Verrückten verfuhr, hatte sie erlebt. Die alte Apfelwerferin hatte er blenden lassen.
    Sie konnte da nicht hineingehen. Vielleicht sollte sie M´Ba den Stapel einfach in die Hände drücken? Das Gewand würde sicher passen, warum musste sie dabei sein? Sie konnte einfach kehrtmachen ...
    M´Ba stand schon bei einem der Wächter – war es Karim? Sie brauchte ihm nur den Packen zu überreichen.
    “Guten Morgen, Schneiderin.”
    Seine Stimme. Hinter ihr.
    “Genau zur rechten Zeit. Dann lass sehen, was du da hast.”
    Es gab kein Entkommen. Anna folgte Friedrich, den Blick gesenkt, und ließ sich von den aufgerissenen Türflügeln verschlingen, die sich wie von Geisterhand schlossen, nachdem sie beide hindurchgetreten waren.
    “Du hast das Gewand fertig?”
    Anna hielt den Kopf gesenkt und löste die Schnur um den Packen. “Ja, Majestät.”
    „ Und du hast alles geändert, wie ich es dir aufgetragen habe?“
    “Ja, Majestät.”
    Friedrich trat dicht an Anna heran, so dicht, dass ihr das Denken schwerfiel.
    “Was ist denn heute mit meiner Schneiderin?” Er fasste sie am Kinn und hob ihren Kopf, bis Anna in den blauen Tiefen seines suchenden Blickes versank.
    “Hast du etwas auf dem Herzen?
    Anna hielt es nicht mehr aus. “Warum habt Ihr die alte Frau geblendet?”, brach es aus ihr hervor.
    Friedrich trat einen Schritt zurück, musterte sie von oben bis unten , und sein Blick wurde kalt.

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