Die Gewandschneiderin (German Edition)
Außerdem hat sich der Zunftmeister Wortwin als Zeuge angeboten, und ich habe zugesagt. Er müsste jeden Augenblick hier sein.” De Vineas Augen glitten über Annas Busen, ihre Hüften und Beine. “Wenn sie durch diese Heirat einen Meistertitel gewinnen will, können wir ihr den Beischlaf nicht ersparen. Es war schon hart genug, Wortwin den Brautlauf auszureden.”
Friedrich hob die Schultern. “Nun, dann muss es wohl sein. Geh du doch in die Schreibstube und bereite die Urkunde vor.”
De Vinea runzelte die Stirn. “Ich bleibe lieber, um alles bezeugen zu können. Meister Wortwin ist schließlich auch noch nicht eingetroffen.”
“ Nun gut, wenn dir das Wort des Kaisers nicht genügt. Dann such doch den Bräutigam auf und schreib die Urkunde in seiner Kammer – ohne ihn werden wir wohl kaum anfangen”, grollte Friedrich.
De Vinea duckte sich wie unter einem Hieb, schob sich aber an Anna und Friedrich vorbei in Meister Spierls Kammer.
Endlich war sie mit dem Kaiser allein.
“Majestät, ich … ich habe noch nie … das heißt, vielleicht einmal … ich war bewusstlos …”
“Meinst du den Vollzug der Ehe?” , fragte Friedrich.
Anna nickte.
“Es gibt durchaus Gelehrte, Bischof Ivo von Chartres oder Petrus Lombardus, die eine Ehe durch Konsens auch ohne Vollzug des Beischlafes als rechtsgültig erachten. Wenn wir uns darauf berufen, gäbe sogar de Vinea nach”, sinnierte der Kaiser.
“Warum tun wir es dann nicht?” , fragte Anna.
“Denk nach!”
Anna stutzte. Das hatte vor dem Kaiser noch nie jemand von ihr verlangt. Sie ließ die Frage in ihren Gedanken kreisen. Warum sollte sie sich nicht darauf berufen, dass eine Ehe auch ohne Vollzug gültig war? Es dauerte nur einen Augenblick, dann traf die Lösung sie mit voller Wucht. Wenn die Ehe mit Heinz gültig gewesen wäre, hätte sie den Meister schlecht ehelichen können. Anna senkte den Kopf.
“Siehst du. Darum” , sagte Friedrich mitleidig.
Meister Spierls Kopf lag hoch gestützt auf einem prächtigen neuen Kissen. Eine breite Decke hing über dem schmächtigen Körper und reichte bis zum Boden. Das schüttere weiße Haar war ordentlich zur Seite gekämmt, und er roch beinahe sauber.
“Komm her, Kind !” flüsterte er.
Anna trat näher und setzte sich mit klopfendem Herzen auf den Rand der Bettstatt. War es so weit? Vielleicht gewann sie ein wenig Zeit, indem sie mit ihm redete.
“Meister, seid Ihr sicher, dass I hr das tun wollt?”, fragte sie.
“Ach , Anna, du bist für mich eher wie die Tochter, die ich nie hatte. Aber wenn dies der Weg ist, alles für jene zu ordnen, die mir wichtig sind, dann will ich ihn beschreiten.” Er seufzte. “Versprich mir, dass du Wiffi das mit der Hochzeit schonend beibringst, sie regt sich so leicht auf, die Alte.”
Anna nickte. “Natürlich.” Die Erwähnung von Wiffi machte alles nur noch schlimmer, vielleicht sollte sie es doch lieber gleich hinter sich bringen. Es klopfte an der Tür.
De Vinea öffnete , und Meister Wortwin sowie eine Magd traten ein. Der Wormser Gewandschneider lehnte sich an die Wand unter dem kleinen Fenster, strich sich das Haar glatt, zupfte sich am Schal und verschränkte die Arme vor der Brust.
“Das Hemd” , sagte die Magd. Anna schluckte, richtig, man musste sie entkleiden. In Ermangelung einer Abtrennung drehten sich alle um, und Anna schlüpfte mithilfe der Magd in das lose Brauthemd. Feinstes Leinen und ein wundervoll bestickter Ausschnitt rahmten sie ein wie ein Teich eine Seerose. Welch verstörender Anlass für ein so kostbares Hemd.
“Fertig !”, rief die Magd. Sie knickste vor dem Kaiser und schlüpfte durch die Tür nach draußen.
Die wenigen Worte der Eheschließung rauschten wie ein Herbstwind an Anna vorbei. Ihr brannte die Haut vor Scham. In Heinrichs Bett hatte sie wenigstens den Vorhang gehabt, aber hier?
“So , nun auf zur Tat!” Petrus de Vinea näherte sich der Bettstatt und lüpfte einen Zipfel der Decke. Aus den Augenwinkeln sah Anna, wie der Kaiser zum Fenster trat und neben Wortwin den Arm aus dem Fenster streckte. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, aber ihr kam ohnehin alles, was ringsum geschah, äußerst seltsam vor. Schrittchen um Schrittchen trat sie auf das Bett zu. Meister Spierl sah ihr mit großen Augen auffordernd entgegen. Obwohl Anna so langsam wie möglich ging, war der Rand des Lagers bald erreicht.
“Unter die Decke!”
De Vineas Wange war immer noch rot, aber Anna empfand keinerlei Genugtuung.
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