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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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haben, immer warm und genug zu essen.”
    Taddäus lächelte.
    “Und ich werde mir die schweren Arbeiten mit Jan teilen, damit sie nicht wieder die Treppe hinunterfällt.”
    Es klopfte an der Tür. Anna sprang auf, doch dann besann sie sich und kehrte zum Bett zurück. Sie gab Taddäus die Rute in die Hand und deckte ihn zu. “Ich bin bald zurück”, versprach sie.
    Er war schon eingeschlafen.
    “Anna!”, rief M´Ba durch die Tür hindurch.
    “Ich komme.”
     
    Es war der Geselle vom letzten Mal, doch diesmal scharwenzelte er nicht um Meister Wortwin herum, sondern achtete peinlichst darauf, dass nichts von den glühenden Kohlen, die er in einer dreifüßigen Eisenschale vor sich hertrug, auf seinen feinen Rock fiel.
    Anna starrte auf d as Gefäß. Es war Sommer, was sollte das Feuer?
    Wortwin räusperte sich. Anna löste nur mit Mühe den Blick von dem Dreifuß, den der Geselle viel zu dicht neben ihr abstellte.
    “Bist du so weit, die Urkunde in Empfang zu nehmen?”, fragte Wortwin.
    Anna s Blick zuckte zu den Kohlen. Ihr Mund war trocken. “Ja.”
    Wortwin räusperte sich. “ Wie es der Brauch verlangt, wird nun das Ohrstechen vollzogen. Als Zeichen der Zugehörigkeit zu unserer Zunft und als Bezahlung für den Bestatter dereinst, damit keiner sagen kann, ein Gewandschneider bezahle seine Beerdigung nicht.”
    Wortwin nickte dem Gesellen zu, der daraufhin einen schmalen Dorn aus der Tasche zog, wie Anna ihn vom Ledervorstechen kannte. Der Geselle hielt das Metall in die Glut und blies in Annas Richtung, bis die Kohlen hellrot glühten und knisterten. Sie trat einen Schritt zurück.
    “Der Kaiser hat sich nicht lumpen lassen, feinstes Gold und schwer genug für zwei Beerdigungen.” Er hielt ihr auf den ausgestreckten Fingern einen goldenen Ohrring hin. Anna griff danach, zuckte aber zusammen, als sie ein neuerliches Zischen vernahm. Der Ohrring fiel mit leisem Klirren zu Boden. Wortwin zog die Augenbrauen hoch. Anna bückte sich, hob den Ring auf und umschloss ihn mit ihrer schweißnassen Hand.
    “Muss das sein, das mit dem Ohrstechen?”, fragte sie.
    “Nein” , säuselte Wortwin. Seine Stimme wurde lauter. “Es sei denn, du willst deine Meisterurkunde. Verflixt, was ist los mit dir?”
    Natürlich wollte Anna die Urkunde, aber der barsche Ton schüchterte sie nicht mehr ein, schließlich war sie kein kleines Kind.
    “ Erklärt mir erst, was dabei geschieht.”
    Der Geselle meldete sich zu Wort, der Dorn glühte inzwischen. “Wir warten, bis der Dorn abgekühlt ist” – Anna atmete auf – “und stechen ihn durch das Ohrläppchen. Dann ziehe ich ihn schnell heraus und stecke den Ohrring in das Loch. Die ersten zwei Monde dürft Ihr ihn nicht entfernen, nur behutsam daran drehen, danach könnt Ihr ihn herausziehen und wieder anlegen, sooft Ihr wollt.”
    ”Können wir beginnen?”, drängte Meister Wortwin.
    “Ich bin so weit.”
     
    “Meister Spierl! Taddäus!” Sie riss die Tür auf. Ihr Ohr schmerzte höllisch, aber das war ihr gleich. “Stellt Euch vor, ich habe die Urkunde! Ihr müsst sie mir noch einmal vorle…“ Sie brach ab. Irgendetwas stimmte nicht. Anna hielt den Atem an, die Urkunde fest an das laut pochende Herz gedrückt, und starrte zu dem Gewandschneider hinüber. Vollkommene Stille breitete sich in der Kammer aus. Die Decke, unter der er ruhte, hob und senkte sich nicht. Sie trat an das Lager und legte ihm das unversehrte Ohr auf die Brust. Nichts. Der Weidenstock war ihm aus der Hand geglitten. Sie legte ihren Meisterbrief sorgsam auf den Stuhl, nahm die Rute und steckte sie ihm zwischen die Finger, doch sie rutschte wieder heraus. Er brauchte sie nicht mehr.
    Anna legte den Kopf auf das Laken neben ihm. “Taddäus, ich habe die Urkunde. Und einen Ohrring.”
    Ihre Tränen nässten das gebleichte Laken und hinterließen feuchte Flecken. Er würde ihr fehlen.
     
Der Haremszuber
     
    Sie setzte die Schere zum zweiten Mal an den waldgrünen Stoff. Welch wundervolles Gewebe! Allerdings recht knapp bemessen. Was, wenn Isabella inzwischen fülliger geworden war? Schwanger wie ihre Zofe wäre die Braut wohl nicht. Andererseits - ein Schnitt an der falschen Stelle, und der Stoff würde nicht mehr als Stück im Ganzen für das Gewand reichen. Sie ließ sich auf den Stuhl sinken, legte die Schere auf den Tisch und strich sich das Haar aus der Stirn. Meister Spierl hätte ihr sicher geraten, noch zu warten. Hätte nur die Zeit nicht so gedrängt! Vielleicht sollte sie sich

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