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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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Lächeln über zog das Gesicht der Köchin. “Das ist eine lange Geschichte, sie handelt vom Kaiser. Aber du hast Glück, es ist noch früh am Tag. Ich erzähle sie dir.” Sie setzte sich auf ihre Bettstatt und klopfte neben sich auf die strohgefüllte Unterlage.
    “Als ich noch bei Yassir ben Saul in Diensten stand “, begann Alimah, „kam eines Tages ein Knabe in die Küche, ohne anzuklopfen. Er war gerade alt genug zum Ziegenhüten, deshalb dachte ich, er weiß es nicht besser. Er fragte mich auf Italienisch nach einem Stück Käse.” Sie lächelte still vor sich hin. “Ich habe ihm gesagt, er soll sich Käse bei seiner Mutter holen, doch er antwortete, die sei gestorben. `Geh zu deinem Vater!´, sagte ich. Doch er antwortete wieder, der sei gestorben. Er dauerte mich, also gab ich ihm ein Stück. Aber ich wollte den Jungen nicht durchfüttern - viele Kinder waren damals Waisen. Also sage ich ihm, er soll nicht wiederkommen, es sei denn, er kann bezahlen.” Alimah hielt inne und sah aus dem Fenster. Nur das morgendliche Zwitschern der Vögel war zu hören.
    “Was geschah dann?” , flüsterte Anna.
    “Er kam am nächsten Tag wieder und brachte eine selbst gefangene Wachtel. Mehr könne er mir im Augenblick nicht geben, aber wenn er König sei, werde er alles zurückzahlen, das versprach er. Ich habe ihn ausgelacht. Er nahm seine Wachtel und ging, doch am nächsten Morgen war er wieder da, mit zwei Wachteln.”
    “ Und was hast du getan?”, fragte Anna, atemlos vor Spannung.
    “ Er hat in meiner Küche gegessen, einmal am Tag. Und ich habe ihm Arabisch beigebracht.”
    Anna seufzte. “Eine schöne Geschichte.”
    Die Köchin nickte. “Nicht wahr? Aber sie ist noch nicht zu Ende, du hast nach den Zweigen gefragt. Er hat über die Jahre für jede meiner Mahlzeiten eine Kerbe in diese Zweige geschnitten. Und als man ihn zum König - später sogar zum Kaiser - gekrönt hatte, holte er mich an seinen Hof und machte mir für jede Kerbe ein Geschenk.”
    “ Alle diese Schätze sind von ihm?”, fragte Anna.
    Alimah nickte. “Er hatte es ja versprochen.” Sie bückte sich. „Ach, da habe ich sie gelassen!” Mit dem bloßen Fuß fuhr die Köchin unters Bett und förderte ein Paket zutage, eingeschlagen in grobes Leinen und mit einer Schnur umwickelt.
    Sie reichte Anna den Packen. “Auch ein Geschenk von ihm, aber er hat nicht bedacht, wie kräftig ich bin. Du darfst es haben, mach es auf !”
    Anna setzte den Hund auf den Boden und nahm das Bündel. Der Inhalt war flach und fühlte sich weich und steif zugleich an. Sie löste die Schnur, schlug das Leinen zurück und keuchte auf.
    Ein P aar Schuhe kam zum Vorschein. Sie waren hinten offen und aus blauem dickem Stoff mit unglaublich festem und doch weichem Griff, bestickt mit Goldfäden und aufgezogenen Perlen. So etwas hatte Anna noch nie gesehen.
    “Was ist das für ein Stoff?” , hauchte sie.
    “D as nennt man Samt. Ich war die Erste am Hof, die Samt besaß”, brüstete sich Alimah. “Aber sie sind mir zu klein, siehst du?” Sie nahm Anna einen Schuh aus der Hand und versuchte, ihren mächtigen Fuß in das zarte Gebilde zu schieben, doch mehr als die Zehen bekam sie nicht hinein.
    “Dir passen sie bestimmt, versuch es.”
    Anna nahm die Schuhe und streifte ihre alten Lederschlappen ab. Mit beiden Füßen schlüpfte sie in den blauen Samt und schloss die Augen. Welch wohliges Gefühl! Einer Königin angemessen. Sie öffnete die Augen und sah an sich hinab. Das Kleid musste gewaschen werden, der Saum war schmutzig. Die Perlen und Goldfäden der Schuhe dagegen waren mehr als kostbar, sie waren prunkvoll. Zu den Frauen in den feinen Schleiern hätten sie besser gepasst.
    Zögernd zog sie die Schuhe wieder aus und schob sie von sich. “Ich kann sie nicht annehmen.”
    “Warum nicht?” Alimah verschränkte die Arme vor der Brust. “Ich bekomme noch viele weitere Geschenke. Der Kaiser hat seinen Mathematicus Fibonacci aufschreiben lassen, wie viele es sind, aber mir hat er die Zweige gegeben. Deshalb weiß ich, dass ich noch etwa die Hälfte der Kerben guthabe. Da sind bestimmt irgendwann einmal passende Schuhe dabei.”
    “Aber warum gibst du sie nicht einer der Frauen, die höher in seiner Gunst stehen? Willst du dich mit ihnen nicht gutstellen?” , fragte Anna.
    Alimah lachte so dröhnend, dass der Hund wach wurde und winselte.
    “Ich? Besser, die albernen Hühner stellen sich mit mir gut.” Sie wischte sich eine Lachträne aus dem

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