Die Gewandschneiderin (German Edition)
was er von ihr wollte?
Die Erleichterung schwappte wie eine Woge über sie hinweg, und ein Dankgebet entschlüpfte ihren Lippen.
Sie nahm den Hund und beeilte sich. Es gab viel zu nähen – und viel vorzubereiten.
Rosen und Feuer
Die Arbeit ging Anna flott von der Hand. Ohne Zahmeena konnte sie bedenkenlos mit der Linken nähen. Es war die richtige Entscheidung gewesen, das Kleid für Isabella schon zuzuschneiden und zu heften. In den drei Tagen bis zur Hochzeit - wenn sie bedachte, dass die Braut das Kleid schon morgens brauchte, waren es sogar nur zwei - hätte sie es sonst nicht fertigstellen können. Bis auf Isabellas Kleid war alles genäht und hing auf Stangen zwischen den Regalen, damit nichts knitterte.
Anna nahm den silbergrünen Stoff wieder zur Hand und führte die Naht für die Schnürung am Rücken so aus, dass sie von außen unsichtbar blieb. Die Nähte an Brust und Hüften hatte sie offen gelassen. Da diese sich nicht wie der Rest mit der Schnürung anpassen ließen, würde Anna sie an Isabellas Körper überprüfen, damit alles richtig saß. Sie strich über den Stoff.
D as zarte, gleichmäßige Gewebe hob sich von ihrem blauen Kleid ab wie eine Blume vom Torf. Hätte sie Friedrich doch in einem solchen Kleid gegenübertreten können! Doch dann verscheuchte sie entschlossen die schwärmerischen Gedanken. Wenn sie sich beeilte, konnte sie das Kleid noch an diesem Tag fertigstellen. Wenn Isabella am nächsten Tag eintraf, musste sie nur die letzten Änderungen vornehmen und die Brust- und Hüftnaht schließen.
Anna hängte das Kleid auf die letzte leere Stange. Ihr Tagewerk war vollbracht. Sie zog noch einmal an dem langen Rock und betrachtete das Gewand. Es war ein Meisterstück.
W ie Isabella auch immer gewachsen war, sie sähe wunderschön darin aus. Jede Frau gliche darin einem Kleinod - außer vielleicht Zahmeena. Sie selbst würde wohl nie etwas Vergleichbares tragen, aber zumindest konnte sie tun, was sie sich schon lange vorgenommen hatte. Sie würde die gekauften Borten so anbringen, dass ihr Busen betont wurde. Sie kniete neben der Kiste des Meisters nieder, in der sie nach dem Marktbesuch ihre Einkäufe verstaut hatte. Offensichtlich hatte Zahmeena ihre Finger darin gehabt, alles lag durcheinander. Murrend ordnete Anna die Garnrollen, Nadelmappen und teuren Bänder. Eine kunstvolle Borte erregte ihre Aufmerksamkeit.
Gestickte blaue Blumen, eingefasst in goldene Ovale auf tiefrotem Grund , zierten das breite Schmuckband. Der Meister hatte nur wenige Borten solcher Art in seinem Vorrat gehabt. Diese hatte er für den Fall erworben, dass die kaiserlichen Einkäufer keine Borten mitgeschickt hätten. Anna verstaute den Stoffstreifen vorsichtig in einem der oberen Fächer und suchte nach ihrem Einkauf. Bis sie sich eine solche Borte leisten konnte, würde sie selbst als Meisterin … Sie stutzte. Das Werkzeug, die Stoffe, die Borten - mit dem Tod Meister Spierls, ihres Ehemannes, war alles in ihren Besitz übergegangen. Er hatte keine Kinder, und die Verpflichtungen, die in die Urkunde aufgenommen worden waren, sahen nicht vor, dass sie etwas von der Nähausstattung abgeben musste. Alles, was sich in dieser Kiste befand, gehörte ihr. Ebenso wie der Inhalt aller anderen Kisten. Das Haus, die Fibeln und Schnallen, Knöpfe und Nadeln, die Scheren und der Tisch, die Vorräte, die Bücher, alles. Anna schlug die Hand vor den Mund. Sie hatte sich so sehr darüber gefreut, endlich schneidern zu dürfen, und war so traurig über Taddäus’ Tod gewesen, dass sie keinen Gedanken an ihr Erbe verschwendet hatte. Bisher.
Sie griff nach der kostbaren Borte, die einer Kaiserin würdig war. Doch sie gehörte ihr , und sie würde sie an ihr rotes Kleid nähen, und zwar sofort. Anna kramte weiter in der Truhe, fand schimmernde Fädelperlen und Schmuckornamente, Fellbesatz und feine Brusttücher. Sie breitete die Schätze ringsum aus und wählte sorgfältig aus, bevor sie sich erhob, um das rote Kleid zu holen und sich fein zu machen.
Sie liebte dieses Kleid. Mit den neuen Perlen, die den Stoff in zierliche Rauten rafften, und dem vornehmen Schmuckband unter der Brust war es das Schönste, was sie je besessen hatte - abgesehen von dem Stück Stoff vom Kleid ihrer Mutter. Sie drehte sich im Kreis, das blaue Gewand über dem einen, Falke auf dem anderen Arm, um das Schwingen der schweren weißen Perlen auf dem roten Tuch zu bewundern. Der Welpe schmiegte sich an ihren Körper und
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