Die Gewandschneiderin (German Edition)
Augenwinkel. “Ich kann mir schon denken, was er an dir schätzt.” Sie beugte sich vor. “Soll ich dir sagen, warum ich diese Schuhe dir – und nur dir - schenke?”
Anna nickte.
“Weil er dir den Hund geschenkt hat und nicht einer von denen. Das hat er bisher erst einmal getan, bei der armen Bianca, Allah sei ihr gnädig.”
“Wer war Bianca?” , fragte Anna.
“Sie war die dritte Frau des Kaisers, sie ist mittlerweile bei eurem Gott. Ich möchte nicht darüber sprechen.” Alimahs Stimme klang seltsam brüchig, und Anna mochte nicht weiter fragen. Ihr kam ein Gedanke, der sie gleichzeitig entsetzte wie aufs Äußerste erregte: Wenn Gott diese Bianca zu sich geholt hatte, konnte es sein, dass er ihr Gelöbnis, sich von allen Männern fernzuhalten, angenommen hatte, um sie zu Friedrich zu führen? Vielleicht hatte sie ihn nur falsch verstanden. Wer war sie, dass sie Gottes Wünsche zu verstehen glaubte wie ein Priester? Sie sprach nicht einmal Latein. Sie musste die Zeichen falsch gedeutet haben. Anna keuchte auf.
“Alimah, meinst du, Gott hat mich hergeschickt, weil er Bianca zu sich rufen musste?”
“Das scheint mir jedenfalls sinnvoller als dein Geschwafel von einem Leben ohne Männer. Eine Frau sollte einen Mann haben, und ein Mann sollte möglichst mehrere Frauen haben.”
Diese Antwort versetzte Anna erneut ins Grübeln. “Trotzdem glaube ich, dass es nicht richtig ist, die Frauen einzusperren, selbst wenn sie dem Kaiser zugeteilt sind.”
“Einsperren? Jede dieser Frauen ist freiwillig hier, dafür hat Friedrich schon gesorgt.”
Sie nahm Anna am Arm, zog sie zur Tür hinaus und in das nächste Gemach hinein. Anna stockte der Atem. Die großen Fenster waren mit dem gleichen Stoff wie die Gewänder der Frauen verhängt. Welche Verschwendung! Doch das Licht schimmerte wunderbar weich. Ein Zuber, groß wie die Bettstatt für eine kleine Familie, beherrschte den Raum. Das Holz war sorgfältig geschliffen, und ellenlange Eisenbänder ließen gewiss keinen Tropfen des Badewassers durch die Ritzen dringen. Töpfe und Tiegel auf langen Borden verströmten so verschiedenartige Düfte, dass es Anna schwindelte. Flauschige Tücher hingen über dem Rand der Wanne, alles war sauber und aufgeräumt. Einzig eine winzige, trockene blaue Blütendolde auf dem Boden zeugte davon, dass der Raum benutzt wurde.
“Schau dich um, meinst du, sie sind hier unglücklich?” Alimah schnaubte. “Die Männer draußen sind nicht so rücksichtsvoll wie der Kaiser. Wer weiß, was den Mädchen anderswo geblüht hätte. Die Welt da draußen hat ihre Gesetze, denn der Arm des Kaisers reicht nur von Pfalz zu Pfalz, aber in dieser Welt ist der Kaiser immer das Gesetz, das kannst du mir glauben.” Der Blick aus Alimahs schwarzen Augen schien Anna festnageln zu wollen. Verwirrt senkte sie den Kopf. Dann waren die Frauen also tatsächlich freiwillig hier …
“Du kannst sie fragen. Und was das Baden betrifft” - die Köchin zwinkerte -, “so geraten sie sich eher in die Haare, wer sich als Erste in den Zuber setzen darf.”
Die Glocken schlugen. Alimah öffnete die Tür. “Komm, meine Ruhezeit ist vorbei, ich muss wieder in die Küche. Was ist mit deiner Arbeit?”
Sie hatte schon an der geöffneten Tür zur Nähstube gestanden, doch Zahmeena war nicht da, und so gab Anna ihrem Verlangen nach. Der schwere Blütenduft der Mädchen haftete an ihr wie Kreidestaub an einem nassen Tuch. Sie brauchte frische Luft, und sie musste nachdenken. Ohne auf ihre Schritte zu achten, ging sie, den Hund auf dem Arm, die Schuhe auf dem anderen, durch die Gänge zum Ausgang und fand sich vor der Bank wieder.
Ein solches Gefühl war ihr bisher fremd gewesen. Alles in ihr, jede Faser, drängte zu ihm hin. Sie wollte in seiner Nähe sein, sie wollte sein Lachen hören. Konnte das etwas Böses sein? Und Friedrich wollte sie. Er war der Stellvertreter Gottes auf Erden, er sprach Latein, wie viel besser musste er wissen, was Gott gestattete und was nicht.
Der Hund biss ihr in den Finger und versuchte, vom Arm hinunter auf den Boden zu kommen. Sie musste ihm eine Leine machen. Anna setzte Falke auf den Kies und brach eine Rosenblüte ab. Während der Welpe aufgeregt Gras und Kiesel beschnüffelte, roch sie an der Blume.
Die zarte Süß e schenkte ihr Gewissheit. Sie hatte sich geirrt, sie sollte sich nur von den Männern fernhalten, weil sie für Friedrich bestimmt war. Wie viele Zeichen musste Gott ihr noch schicken, bis sie verstand,
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